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Pubertär und fern der Heimat

Eine Neuverfilmung von "Hanni und Nanni" stellt die Frage nach Sinn und Funktion von Internatsgeschichten

24.05.2017 | Stand 02.12.2020, 18:04 Uhr

(DK) Pubertät ist, wenn Eltern schwierig werden und glücklich, wer dann Brite ist: Dort ist die räumliche Entzerrung familiärer Konflikte völlig üblich. Seit Generationen erfolgt, durch Kolonialisierung, Klassendenken und Zentralismus befördert, die Entsendung des pickligen Nachwuchses in eines der knapp 500 Internate des Landes.

In Deutschland, wo es immerhin auch über 100 solche Institute gibt, ist die Anforderung an das aushäusige Erziehen komplexer: Kinder aus strukturschwachen Gegenden, erfolglose Schüler aus ehrgeizigen, reichen Familien, solche mit verstorbenen oder anderweitig eingespannten Eltern, Kompromissverweigerer und Revolutionäre, die ihr Umfeld an den Rand des Nervenzusammenbruchs bringen - alle finden sich im Internat zusammen. Auch Kinder mit besonderen Bedürfnissen, was den Kampf gegen Übergewicht oder Diabetes wie Leistungssport oder Hochbegabung bedeuten kann, finden hier ihre Nische. Das Internat sammelt alle und verschiebt die Perspektive: Sind in Familien heute oft weniger Kinder als Erwachsene zu finden, versucht dort ein zwar professionell ausgebildeter, aber zahlenmäßig doch unterlegener Erzieherstab, die junge Mehrheit im Griff zu behalten. Da zudem zeitgleich entwicklungspsychologisch eine Phase des Umbruchs und der Selbstfindung stattfindet, entfaltet das Umfeld für Internatskinder womöglich größeres Potenzial als für Kinder, die ihre Selbstfindung im heimischen Kinderzimmer durchstehen. Für viele Jugendliche ist das Internat darum auch - zumindest theoretisch - eine verlockende elternfreie Parallelwelt voller Mitternachtspartys und bester Freundschaften.

Literarischen Niederschlag hat diese Lebensform prominent in Hermann Hesses "Unterm Rad" oder in "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" von Robert Musil gefunden. Womöglich vielfach nachhaltiger lebt die Legende aber in zahllosen Jugendbuchserien. Das 1885 erschienene Mädchenbuch vom "Trotzkopf" führt den Altersvorsitz, die ritterlichen Jungs von "Burg Schreckenstein" geben den Moralkodex vor. Es gibt ungezählte Serien von Marie Louise Fischer oder Dagmar Hoßfeld bis hin zu der Soap "Schloss Einstein" oder dem Antiken-Kosmos von Percy Jackson. Oft mischen die Autoren gleiche Zutaten zu ähnlichen Geschichten: schlossartige Bauten voller Geheimnisse, Freundschaft und Streiche, fiese Lehrer und solche, die ideale Eltern abgäben, Ausgrenzung und Gruppendynamik, Pferde und Abenteuer. Auch die "Harry Potter"-Serie, wo statt Pferden Sagenwesen und Besen geritten werden und Abenteuer gleich auf die Dimension von "Sein oder Nichtsein" anschwellen, ist letztlich ein modernes Internatsbuch mit den klassischen Ingredienzien. Ein modernisierter Klassiker aus Mutters Jugend ist dagegen "Hanni und Nanni". Die tweedstoffige Mädchenserie aus dem Vorkriegs-England hat die in der deutschen Übertragung seit den 70er-Jahren ein unverwüstliches Eigenleben entwickelt. Um die Zwillinge dehnt sich permanent ein von vielen Köchen abgeschmeckter Kosmos von Sammelbänden, Hörspielen und Verfilmungen aus.

Zwischen 2009 und 2013 gab es einen erfolgreichen Film-Dreiteiler in deutscher Starbesetzung (u. a. Hannelore Elsner, Katharina Thalbach und Heino Ferch) und mit solidem Etat. Doch die Zeiten sind schnell - schon heute kommt die Neuverfilmung in die Kinos, vom selben Produzententeam mit neuen Hauptdarstellerinnen und neuer Regie umgesetzt. Hanni und Nanni (Laila und Rosa Meinecke) spielen nun auf Schloss Lindenhof längst nicht mehr Hockey, sondern sind in der YouTube-Welt heutiger Mädchen angekommen (eine Bloggerin namens Faye Montana spielt übrigens auch mit). Sie springen nachts vom Sprungturm in den Pool, skaten, rappen und reiten - was ja doch wieder ganz klassisch ist.

Ansonsten bemüht sich Regisseurin Isabell Å uba, ihnen die Klischees so gut auszutreiben, wie es bei einem sorgfältig kalkulierten Blockbuster eben geht. Aber am Ende muss sie sich genauso geschlagen geben wie all die werdenden Mütter, die sich schwören, dass ihre Töchter nie im rosa Tutu zur Ballettstunde gehen werden: Das Schloss, die Mutprobe, Pferde, Abgrenzung und Freundschaft, alles ist da. Willkommen in Lindenhof, meine Lieben.

Hanni & Nanni - Mehr als beste Freunde, Deutschland 2017, Regie: Isabell Suba, mit Laila und Rosa Meinecke, Katharina Thalbach, Maria Schrader, Henry Hübchen, Jessica Schwarz, Sascha Vollmer, 96 Minuten. Ab heute im Kino.