Bremen
Düsteres Familiendrama

"Nachtsicht" ist der 30. gemeinsame "Tatort" von Lürsen & Stedefreund

10.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:31 Uhr

Freundin Tajana (Natalia Belitski) ist sich sicher: Kristian (Moritz Führmann) hat niemanden überfahren. - Foto: Radio Bremen

Bremen (DK) 2019 ist Schluss für die "Tatort"-Kommissare Lürsen und Stedefreund. Das verkündeten Sabine Postel und Oliver Mommsen vor gut einer Woche. Bis dahin gibt es aber noch einige Verbrechen in und um Bremen aufzuklären. An diesem Sonntag ermittelt das Duo zum 30. Mal, Inga Lürsen feiert gar 20-jähriges Dienstjubiläum (ihr Kollege kam 2001 dazu). Der "Tatort - Nachtsicht" ist kein klassischer Whodunit-Krimi. Bald kennt man den Täter und ist mitten in einem packenden und düsteren Psycho- und Familien-Drama um übersteigerte Liebe, Wahrheit und Verdrängung.

Dieser Anblick schockt selbst erfahrene Kommissare: Ein junger Mann wurde nachts von einem Auto überfahren und danach mehrmals überrollt. Am Tatort findet man ein Prepaid-Handy, das auf Kristian Friedland (Moritz Führmann) registriert ist. Als der, ein Maler und Lackierer, auf dem Präsidium vernommen wird, stürmt sein Vater (Rainer Bock) herein und nimmt seinen Sohn mit den Worten "Mittlerweile kennen wir unsere Rechte" mit nach Hause. Die Ermittler sind irritiert - zumal der "Junge" bereits Anfang 40 ist. Als kurze Zeit später erneut ein junger Mann überfahren wird, ahnen die Kommissare, dass sie es mit einem Serientäter zu tun haben. Und so bleiben Lürsen und Stedefreund an dem ehemaligen Drogenabhängigen Kristian dran. Schnell wird klar: Der psychisch gestörte Mann ist der Täter. Doch es fehlen (noch) die Beweise.

Es ist ein sehr spezieller Fall, den Stefanie Veith und der kürzlich im Alter von nur 42 Jahren verstorbene Matthias Tuchmann hier entworfen haben. Die Autoren tauchen in dieser glänzend entwickelten und prägnant geschriebenen Geschichte in die tiefsten Abgründe des Menschseins ein. Zum einen befassen sie sich mit der Psychologie des Täters: Was ist der Antrieb eines Serienkillers: Trieb, Sucht, Lust, Macht? Und was charakterisiert einen Serienkiller? Kristians Waffe ist keine Pistole, kein Gewehr, sondern ein Auto. Das kann - so wie er es umgebaut hat - als Waffe benutzt werden.

Die Autoren gehen aber noch einen Schritt weiter und fragen sich, was bringt Menschen dazu, so ein "Monster" zu schützen? Wie Rainer Bock das Familienoberhaupt Jost spielt, der mit einem Lügenkonstrukt die Familie schützen will, zwischen Liebe und Verzweiflung hin- und hergerissen ist und sich seine eigene Wahrheit zurecht zimmert, ist grandios.

Die Story ist düster und brutal. Regisseur Florian Baxmeyer macht daraus ein faszinierendes Psychospiel. Spannung entsteht nicht durch die Mördersuche, sondern durch den Wettlauf der Kommissare gegen die Zeit, um den Täter zu überführen und weitere Taten zu verhindern. Weniger die Action steht im Vordergrund, auch wenn die Szenen, in denen der Killer mit seinem Auto und einem Nachtsichtgerät auf Menschenjagd geht, markant und gespenstisch sind. Die spielen auch noch alle nachts. Ein schwarzes, unbeleuchtetes Auto bei Nacht zu zeigen - der Regisseur und sein Kameramann haben das mit lichtempfindlichen Digitalkameras hervorragend eingefangen. Doch in erster Linie geht es um Konflikte, die sich im Subtext abspielen. Und die werden stark über die Bildebene transportiert: Blicke der Betroffenen, Gesten, Bewegungen, Schweigen.

 

Der "Tatort - Nachtsicht" läuft diesen Sonntag um 20.15 in der ARD.