Bregenz
Musik- und Bilderrausch

Frenetischer Jubel für Stefan Herheims Inszenierung von Offenbachs "Hoffmanns Erzählungen" in Bregenz

31.07.2015 | Stand 02.12.2020, 20:58 Uhr

Bregenz (DK) „Ganz wunderbar“ jubelt eine Zuschauergruppe. „Ich will hier raus“ zischt dagegen eine Frau ihren Mann an, der sich den Standing Ovations anschließt. Der Beifall braust zur Orkanlautstärke auf und pustet gelegentliche Buhs hinweg: Stefan Herheim und sein Regieteam werden vom Zuspruch des Publikums fast umgeweht – Szenen nach der Premiere von Offenbachs Oper in Bregenz, das damit eine Produktion im Haus als Ergänzung zur Seebühne zeigt, die auf höchstem Festspielniveau angesiedelt ist.

Herheim – bekannt nicht zuletzt durch seine geniale Bayreuther „Parsifal“-Produktion – macht es weder sich noch seinem Publikum leicht. Doch letzteres, so scheint es, will gefordert sein. Und honoriert, dass sich Herheim intensiv mit dem Stück und seiner unvollständigen Gestalt auseinandergesetzt und eine neue Fassung gestaltet hat.

Selbstironie ist darin enthalten: „Das hat doch nichts mit Hoffmann zu tun“ ruft ein Besucher im Festspielhaus zu Beginn, als Herheim das künstlerische Scheitern von Hoffmanns Stella zeigt, die sich im Alkohol ertränkt. Ein Besucher? Nein, er schlüpft in die Rolle des Lindorf, ist der Bösewicht der folgenden Akte. Als Alter Ego von Hoffmann wird er die Zerstörung der Frau und Künstlerin Stella mitbetreiben. Denn es geht bei Herheim um Stella, die in Hoffmanns fantastischen Erzählungen „in der Maske der Puppe, der Sängerin und der Hure pervertiert und vernichtet wird“. Der selbstverliebte Künstler Hoffmann ist Täter und Opfer zugleich. Dabei verschwimmen immer wieder – wie oft bei Herheim – die Geschlechter.

Die Puppe Olympia wird zum Sexmonster, die Sängerin Antonia zur Künstlerin, die das Rampenlicht mehr liebt als den Künstler Hoffmann. Eine Giulietta gibt es letztlich gar nicht mehr. Sie tritt als Chimäre der zwei vorigen Frauen auf und bezieht die der Muse mit ein – zum Abgesang des Schlussaktes beim „Liebestod in Venedig“. Omnipräsent ist Jacques Offenbach selbst, der das Ganze mit der Feder dirigiert, und dessen Bild über dem Schlusstableau aufstrahlt.

Die Selbstsuche Offenbachs nach seinem Werk, die eines Dichters und einer Sängerin nach Liebe und Rausch: Wie gewohnt spielt sich Herheims Interpretation auf den verschiedensten Ebenen ab. Dabei ist er immer auch genialer Theatermann, weiß um die Wirkung einer raffinierten Bühnentechnik. Personen tauchen aus der Versenkung auf und verschwinden wieder, Puppen spielen mit und eine kongeniale Bühnenkonstruktion (Christof Hetzer).

Deren Dreh- und Angelpunkt ist eine große Showtreppe, die für Glamour und Erfolg steht, die man aber auch herunterstürzen kann. Teilt sich die Treppe, gibt sie darunter die einzelnen Spielorte frei, spuckt deren handelnde Personen aus. Bis sie sich im Venedig-Akt viergeteilt dreht und den Zuschauer in die Kanäle Venedigs mitnimmt, in eine morbide Endzeitstimmung. Zusätzlich schaffen gezielte Projektionen ein entsprechend fantastisches Ambiente. Die opulenten Kostüme (Esther Bialas) sind zudem in der Entstehungszeit des Werks verortet, machen die Abgründe der Romantik sichtbar.

Das Schönste aber ist die unglaubliche Musikalität, mit der die Personenführung hier die Musik in Bewegung umsetzt. Das kann derzeit wohl keiner so gut wie Herheim. Vielleicht liegt es auch daran, dass man in seiner Inszenierung ganz besonders den betörenden Rausch von Offenbachs Musik wahrnimmt, den die Wiener Symphoniker unter Johannes Debus hören lassen. Mit einer Differenziertheit und einer Klangschönheit, die in jeder Sekunde fesselt.

Dazu kommen die Stimmen. Nicht genug loben kann man den Tenor von Daniel Johansson, der die nicht leichte Partie des Hoffmann mit Charme, Schmelz und Verstand interpretiert. Der Glücksfall einer Besetzung, den Michael Volle in der Rolle der Bösewichter komplett macht. Intelligente Gestaltung erwartet man von diesem großen Sängerdarsteller – dazu kommt baritonale Wucht, ausgestaltet in den schillerndsten Farben. Als Koloraturwunder auch in höchsten Höhen sei Kerstin Avemo (Olympia) hervorgehoben, als dramatischer Sopran Mandy Friedrich (Antonia), als Charaktertenor mit unwiderstehlich parodistischem Charme Christophe Mortagne, der die kleinen Dienerrollen (Frantz) als Offenbach verkleidet zum Hingucker macht.

Eine Produktion, die den Weg an den Bodensee lohnt.