Berlin
Verstecken hilft nicht

Die Berliner Ausstellung "Nervöse Systeme" zeigt, wie die digitale Überwachung immer mehr um sich greift

15.03.2016 | Stand 02.12.2020, 20:05 Uhr

Foto: DK

Berlin (DK) Von der Gefahr ist nichts zu spüren. Wir merken nichts von ihr, wenn wir in einem sozialen Netzwerk posten. Wir ahnen kaum etwas davon, wenn wir auf Google Informationen suchen. Und wenn auf Amazon uns genau die Produkte angeboten werden, für die wir uns bereits seit einiger Zeit interessieren - dann wundern wir uns allenfalls ein wenig. Woher wissen die so viel über unsere Vorlieben? Die Gefahr ist nicht greifbar. Aber sie ist da. Wir alle haben von ihr gehört. Von der Gefahr, die von internationalen Konzernen der Informationstechnologie ausgeht, aber auch von Geheimdiensten, die unersättlich Daten und Fakten über uns sammeln.

Das Thema der zunehmenden quantitativen Erfassung unseres Privatlebens schreit geradezu nach ästhetischer Umsetzung. Denn nur die Kunst kann Unsichtbares sinnlich erfahrbar machen. Sie ist die Sichtbarmachungs-Instanz schlechthin. Das hat man sich offenbar auch beim Haus der Kulturen der Welt in Berlin gedacht und zeigt nun die Ausstellung "Nervöse Systeme". Der Titel ist vielsagend. Wie ein riesiges Nervensystem verarbeiten heute fußballstadiengroße Rechenzentren Milliarden von Informationshäppchen, die von überall her auf der Welt über Datenleitungen zusammenlaufen. Aber das System ist bereits überhitzt, es ist nervös.

Der erste Blick in die in fahles Halbdunkel getauchte Ausstellung ist ernüchternd. Bildende Kunst im klassischen Sinne ist zwischen den Stellwänden, den kargen Metallstangen und Monitoren zunächst kaum zu erkennen. Dafür bietet die Schau ein schier kaum zu bewältigendes Informationsangebot - meist in Form von Texttafeln und Videobotschaften. Es zeigt sich schnell: In dieser von Anselm Franke, Stephanie Hankey und Marek Tuszynski kuratierten Schau geht es nicht in erster Linie um Kunst, sondern um Aufklärung. Sie changiert zwischen Kybernetik, Informatik, Politikwissenschaft und den schönen Künsten. Aber das macht sie vielleicht umso spannender.

Die meisten Besucher sammeln sich dort, wo die unsichtbare Macht der Datensauger besonders persönlich erfahrbar wird: Mitten in der Ausstellung ist ein Nachbau des Zimmers von Wikileaks-Gründer Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London aufgebaut. Man kann hineingehen und sich mit leichtem Gruseln vorstellen, wie es sich in dieser Enge zwischen Computermonitoren und kleinen Fenstern lebt.

Ein weiterer magischer Anziehungspunkt für das Publikum ist der "White Room", der mit seiner klinischen Sauberkeit, den weiß gekleideten, freundlichen jungen Leuten vom Service wie die Karikatur eines Apple Store wirkt. Hier im lichten Design wird aufgeklärt, über Big Mama etwa, die, anders als ihr Verwandter Big Brother, nicht unbedingt nur in böser Absicht Daten sammelt - und doch auch gefährlich ist. Am eindrucksvollsten ein Werk von Ai WeiWei: ein kindlich-schöner Stoff-Pandabär - der es allerdings in sich hat. Denn im Bauch des Bären versteckt sind Dokumente, die Edward Snowden aus den USA entwendet hat. Als Museumskunstwerk dürfen sie nicht beschlagnahmt werden und sind so geschützt, erklärt eine höfliche junge Frau. In verschiedenen Museen der Welt gäbe es noch weitere Pandabären-Verstecke.

Gezeigt wird auch, wie man Big Mama überlistet. Tega Brain und Surya Mattu haben ein Metronom konstruiert, an dem man sein Fitnessarmband heften kann. So werden emsiges Laufen und Trainieren vorgetäuscht.

In einer kleinen Ausstellung in der Ausstellung wird der Geschichte der Navigation nachgegangen. Wie der technische Fortschritt den Kapitän zum Informationssammler am Logbuch machte und wie am Ende, umgekehrt, wir uns allmählich vom Datenerheber zum Objekt der Datensammelwut verwandelt haben. Kann man etwas dagegen tun? Zu sehen ist die Bauanleitung für einen elektronischen Wlan-Störer. Der Verkauf eines solchen Gerätes ist merkwürdigerweise verboten.

Gezeigt wird ein Videokunstwerk von Andree Korpys und Markus Löffler, in dem es darum geht, die Überwachungszentrale des Bundesnachrichtendienstes selbst zu überwachen. Man beobachtet einen Falken, der wie eine lebende Drohne zum Filmen verwendet wird, und verfolgt die Arbeit eines Lügendetektors. Die Ausstellungskuratoren bewegen sich auch in die Vergangenheit zurück, versuchen zu ergründen, warum es so weit kommen konnte. Und treffen teilweise auf hellauf von den Möglichkeiten des Fortschritts begeisterte Wissenschaftler und Künstler.

1969 zum Beispiel war "Variable Piece No. 4" ein Teil der New Yorker Ausstellung "Software". Künstler sollten mit dem Phänomen Computer in Verbindung gebracht werden. Jeder Besucher wurde aufgefordert, ein Geheimnis aufzuschreiben und in einem Zettelkasten anonym zu hinterlassen. 24 Stunden später wurden die Geheimnisse in der Galerie in Umlauf gebracht. Ach, was für ein harmloses Spiel mit unserer Privatsphäre, denkt man da unwillkürlich. Wäre es doch dabei geblieben.