Berlin
Spanische Traumwelten

Die Gemäldegalerie in Berlin präsentiert in einer grandiosen Ausstellung "die Ära Velázquez"

11.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:34 Uhr

Meisterwerke spanischer Malerei: El Grecos "Immaculata Oballe" und Arellanos "Blumenstillleben". - Fotos: Estel/Klut/Blázquez

Berlin (DK) Ein Akt übersinnlicher Liebe: Hingebungsvoll umarmt der Heilige Franziskus den gekreuzigten Jesus. Er schmiegt sich an seinen Leib, das Blut aus der offenen Wunde rinnt ihm fast über den Leib. Völlig in sich versunken hält er die Augen geschlossen. Francisco Ribalta hat das etwa 1620 so packend fotorealistisch gemalt, dass man fast vergisst, dass die beiden historischen Gestalten über tausend Jahre trennt, dass sie sich nie begegnen konnten. Die Szene erscheint wirklich-unwirklich, wie ein Traum.

Kaum anders ist es mit der Darstellung desselben Heiligen von Franciso Zubarán aus dem Jahr 1640. Realistisch bis zur kleinsten Stofffaser der rauen Mönchskutte steht Franziskus vor uns. Und doch: Er tritt wie eine Erscheinung aus dem Dunkel des Bildhintergrundes hervor, die Augen verdreht er in Trance. Auch hier: Ein Bildnis aus einer Traumwelt, so illusionistisch, dass man die Gestalt für wirklich halten könnte.

Beide Bilder sind derzeit in der wunderbaren Ausstellung "El Siglo de Oro" das Goldene Zeitalter - in der Gemäldegalerie im Kunstforum Berlin zu sehen. In der Schau wird auf über hundert Bildern "Die Ära Velásquez" präsentiert, dass einem die Augen übergehen. Die Zeit zwischen 1580 und 1680 markiert nicht nur den Beginn des Barocks in Spanien. Es ist vielmehr eine ungewöhnliche Blütezeit der Kunst - wohl auch, weil das iberische Königreich damals noch das mächtigste, größte und reichste Land der christlichen Welt war. Und doch: So golden waren die Zeiten nicht. Die Macht der Spanier, dieses Reich, in dem die Sonne niemals unterging, war im Niedergang begriffen. Der Dreißigjährige Krieg wütete neben anderen militärischen Auseinandersetzungen, fünfmal ging der Staat bankrott, die Muslime wurden vertrieben, die Pest ging um, die Getreideernten fielen aus. Und nach dem Kampf gegen den Islam drohte den Katholiken neues Ungemach: die Reformation.

Vielleicht war das ein wichtiger Grund, künstlerisch aufzurüsten: die Heiligen uns noch näher rücken zu lassen, noch plastischer, noch detaillierter, noch realistischer zu malen. Die Bedrohung durch den Unglauben noch niederschmetternder zu schildern. Die Gegenreformation ist hier präsent wie kaum sonst in Europa. Den Jesuiten Ignatius von Loyola sieht man in der Ausstellung als glanzpolierte Holzplastik von Juan Martínez Montañés predigen, so lebensecht koloriert, dass man fast erschrickt. Wie überhaupt die Skulpturen in ihrer Wirklichkeitsnähe frappieren: Man kann sehen wie etwa in der Holzskulptur von Gregorio Fernández das rote Blut aus dem mageren, geschundenen Körper des hohlwangigen Jesus auf das weiße Tuch rinnt.

Die spanische Kunst dieser Zeit ist fast immer religiös geprägt. Sicher, es gibt auch Genreszenen, Musikanten, Bilderverkäufer, spielende Kinder, gelegentlich Landschaftsmalerei. Das alles ist nicht repräsentativ. Vielmehr bestimmt der religiöse, fast wahnhafte Ernst die virtuose Bilderwut der Spanier. Alle Heiligkeit der Bibel wird mit überbordender Theatralik plausibel gemacht, sogar Szenen wie die mit dem Heiligen Franziskus, die gar nicht möglich sind. Ein Fantasy-Exzess des Barock.

Man spürt, wenn man durch die Ausstellung mit ihren ernsten Gesichtern und religiös verzückten Gestalten geht: Das ist irgendwie übernatürlich. Man versteht plötzlich, woher die großen Surrealisten des 20. Jahrhunderts, Dalí, Giorgio de Chirico, Luis Buñuel, René Magritte, Man Ray und all die anderen ihr Material hatte, worauf sie zurückgriffen. Man ist verblüfft über diese überwirkliche Ästhetik: Es war doch alles schon da. Nur dass man nicht Träume auf die Leinwand bannte, den Schlaf der Vernunft, sondern übersteigerte, magische Religiosität.

Und dann gibt es, gleich am Eingang der Ausstellung, ein Bild, das alles übertrifft, aus dem frühen 16. Jahrhundert und doch aus der Zeit gefallen. Es ist kaum barock, nicht einmal surreal, vielleicht sogar einfach expressionistisch. In der "Immaculata Oballe" von El Greco schwebt eine weiße Taube aus stahlblauem Firmament auf die heilige Maria hinab. Aber hier geht es gar nicht um Personen, gefiederte Engel, marode Burgen, weiße Lilien. Sondern nur um zerfließende Formen, um das himmlische Hinaufziehen zum Göttlichen und das Ergießen von überirdischem Licht in die Finsternis. Ein Bild, zu groß für dieses Zeitalter.

Noch bis 30. Oktober, Berliner Gemäldegalerie. Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr 10 - 18 Uhr. Do 10 - 20 Uhr. Sa, So 11 - 18 Uhr. In der Arte-Mediathek gibt es den Film "Das Goldene Zeitalter der spanischen Kunst".