Berlin
Lizenz zum Verführen

26.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:25 Uhr

Im geteilten Berlin bespitzelten sich 1974 Ost- und West-Agenten mit perfiden Methoden. Eine davon bestand aus sogenannten Romeo-Agenten der Stasi. Lars Weber (Tom Schilling) spricht Lauren Faber (Sofia Helin) in einem Café an. - Foto: Schuller/ZDF

Berlin (DK) In über 100 Länder haben die Macher der Serie "Der gleiche Himmel" ihr Werk verkauft. Im Mittelpunkt: ein Romeo-Agent aus Ost-Berlin, den die Stasi 1974 auf eine Geheimdienstlerin im Westen ansetzt. Der Dreiteiler liefert mehr als eine Spionage-Story.

Romeo - da denkt man sogleich an den männlichen Part des wohl be-rühmtesten Liebespaares der Weltliteratur. Auch die Welt der Agenten kennt einen Romeo, einen männlichen Spion, der - wie es nachrichtendienstlich heißt - zum Zwecke der Anwerbung eine Liebesbeziehung zu einer Zielperson knüpft. Und so ein Romeo ist die zentrale Figur in dem ZDF-Dreiteiler "Der gleiche Himmel", der einen Blick auf das gespaltene und immer noch im Kalten Krieg verharrende Deutschland im Jahr 1974 wirft und die bewegende Geschichte zweier Familien in Ost und West erzählt, die mehr miteinander zu tun haben, als sie denken.

Lars Weber (Tom Schilling) ist Stasi-Agent, hat seine Romeo-Ausbildung absolviert und wird jetzt im Westen eingesetzt. In Berlin soll der smarte und redegewandte junge Mann Lauren Faber (Sofia Helin) verführen, um so Zugang zu sensiblen Informationen des britischen Geheimdienstes zu bekommen. Die alleinerziehende Frau arbeitet als Datenanalystin auf dem Berliner Teufelsberg. Als Lauren einen Schlaganfall erleidet, räumt der ständig Essen in sich reinstopfende Stasi-Führungsoffizier Müller (Ben Becker) sie aus dem Weg und setzt Lars auf deren für die NSA arbeitende Kollegin Sabine (Friederike Becht) an. Der Romeo schafft es, mit falscher Identität, sich ihr zu nähern, stößt aber bei Sabines Stiefvater, NSA-General Cutter, zunächst auf Misstrauen.

Doch "Der gleiche Himmel" ist mehr als ein eindimensionaler Romeo-Thriller. Parallel wird die Geschichte der Familie von Lars im DDR-Plattenbau erzählt. Sein Vater Gregor (Jörg Schüttauf) arbeitet als desillusionierter Stasi-Informant, Onkel Conrad und Tante Gita (Anja Kling) haben zwei Töchter, eine soll als talentierte Schwimmerin für die Re-publik olympische Medaillen holen und wird dazu mit Anabolika vollgepumpt. Conrads Lehrer-Kollege Axel ist homosexuell und Schikanen ausgesetzt. Er gräbt an einem Fluchttunnel in den Westen mit.

"Ursprünglich sollte es eine Serie mit 45 Minuten langen Folgen werden, eine Koproduktion mit der BBC", verrät Hauptdarsteller Tom Schilling. Doch im ZDF läuft "Der gleiche Himmel" als großer Dreiteiler (die Rechte fürs englischsprachige Ausland hat sich Netflix gesichert). Geschrieben wurde er von der renommierten britischen Drehbuchautorin Paula Milne ("The Politician's Wife", "The Virgin Queen") und inszeniert von einem, der das Regiehandwerk exzellent beherrscht: Oliver Hirschbiegel. Mit "Der Untergang" war der für den Oscar nominiert, mit "Borgia" hat er eine erfolgreiche Serie gedreht und mit seinem letzten Film "Elser - Er hätte die Welt verändert" gewann er 2015 den Regiepreis Metropolis.

Hirschbiegel gelingt es bestens, die Atmosphäre des Kalten Kriegs einzufangen und anhand einzelner Charaktere und ihrer individuellen Geschichten ein realistisches Porträt einer geteilten Generation zu zeichnen, die sich nach einem Aufbruch in neue Zeiten sehnt. Er setzt auf Sprachauthentizität, es gibt relativ lange englische Dialoge mit Untertiteln. Und er beweist einen tollen Blick für große Sets und kleine Details. Ausstattung, (farbenprächtige) Kostüme und Musik (von Lobo über Puhdys und Albert Hammond bis Udo Lindenberg) sind stimmig, die Fußball-WM mit dem Prestigeduell Deutschland - DDR ist im Hintergrund fein in die Inszenierung eingebunden. Und der Schnitt ist exzellent, die Übergänge zwischen Ost und West sind fließend.

Ben Becker als ordinärer Widerling Müller, Jörg Schüttauf als zweifelnder, menschelnder Stasi-Informant, Friedrike Becht als "Romeo-Opfer" Sabine und Tom Schilling als rück-sichtsloser, aber auch rätselhafter Agent ragen aus der starken Besetzung heraus. Parallelen zu der 2015 gelaufenen und preisgekrönten Serie "Deutschland '83" sind er-kennbar, Tom Schilling hält sie für gering: "Das Einzige, das die Stoffe gemeinsam haben, ist, dass sie im Kalten Krieg spielen und dass ein Spion im Mittelpunkt steht, der in den Westen geht. ,Der gleiche Himmel €˜ erzählt aber viel mehr Facetten von Leben auf beiden Seiten der Mauer."

Irritieren dürfte viele das Ende, denn das ist keines, wie man es hierzulande gewohnt ist. Keine der Geschichten wird auserzählt, Lars und Sabine wissen - im Gegensatz zu den Zuschauern, die schon früh durch Fotos darauf gestoßen werden - auch beim Finale nichts vom Familiengeheimnis, und so deutet alles auf eine Fortsetzung der Kalte-Krieg-Saga zwischen Agententhriller, Familiendrama und historischem Zeitbild hin.

 

"Der gleiche Himmel" läuft im ZDF am heutigen Montag, am Mittwoch und am Donnerstag jeweils um 20.15 Uhr.