Berlin
In Stein gemeißelt?

Regisseurin Jette Steckel bringt im Deutschen Theater Berlin die "10 Gebote" als "zeitgenössische Recherche" auf die Bühne

06.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:41 Uhr

15 Interpreten für 10 Gebote: Szene aus Steckels Theaterprojekt. - Foto: Deutsches Theater Berlin

Berlin (DK) "Du sollst nicht töten!", "Du sollst nicht stehlen!", "Du sollst nicht lügen!" Wie selbstverständlich lesen sich für uns diese Sätze. Sie sind so fest in unserer Kultur und unserem gegenseitigen Umgang verwurzelt, dass wir nur selten über ihren Ursprung nachdenken, geschweige denn sie infrage stellen. Dabei ist es ja eigentlich nicht selbstverständlich, dass zehn mehr oder weniger simple Regeln, die vor mehreren Tausend Jahren einmal aufgestellt wurden, noch heute einen derart großen Einfluss auf das menschliche Zusammenleben haben. Doch der Zahn der Zeit, dem schon so manche als unumstößlich gegoltene Gewohnheit zum Opfer gefallen ist, hat den Zehn Geboten bis jetzt verhältnismäßig wenig anhaben können; ein Großteil gilt noch immer als unbedingte moralische Instanz. Doch was haben uns Aufforderungen wie "Du sollst nicht begehren deines nächsten Haus!" oder "Du sollst den Feiertag heiligen!" noch zu sagen in Zeiten, in denen täglich Werbung auf uns einstürzt und es immer mehr zur Normalität wird "24/7" erreichbar zu sein

Dieser Frage hat sich die Regisseurin Jette Steckel zusammen mit ihrem Ensemble und 15 zeitgenössischen Künstlern angenommen. Im Deutschen Theater Berlin hat sie "Eine zeitgenössische Recherche von 15 Autor_innen, 9 Schauspieler_innen und 1 Schaf" erarbeitet, die die Zehn Gebote in den Mittelpunkt stellt und fragt, welche Bedeutung sie in unserer Gesellschaft noch haben können oder sollten. Schriftsteller, Dramatiker und Filmemacher haben sich jeweils mit einem Gebot auseinandergesetzt.

So verarbeitet etwa Navid Kermani das siebte Gebot, "Du sollst nicht stehlen", in einer kurzen erzählerischen Skizze, in der Andreas Pietschmann, bekannt vor allem als Filmschauspieler und Hörbuchstimme, darüber nachsinnt, inwiefern es gerechtfertigt sein kann, die Lebenszeit eines anderen zu stehlen. Und schon wechselt das Bild.

Das dritte Gebot, nach dem man den Feiertag heiligen soll, zeigt sich als kurzer Film. Auf den Straßen Berlins werden unterschiedlichste Menschen gefragt, was ein "Feiertag" für sie bedeutet und wie dieser bei ihnen aussieht. Und die Leinwand verschwindet wieder.

Der Schriftsteller und Migrationsforscher Mark Terkessidis wiederum entwirft einen kurzen Dialog, in dem Wiebke Mollenhauer und Ole Lagerpusch zwischen Musik und Gymnastik sich Argumente an den Kopf werfen. Von linksmotivierten Häuserbesetzungen kommen die beiden auf Menschen zu sprechen, die ihre Heimat verlassen, weil sie sich nach einem besseren Leben sehnen - auch angetrieben von Bildern, die sie im Internet sehen. Und während man über dem Gespräch der beiden langsam zu wissen glaubt, um welches Gebot es sich handeln könnte, schreibt Mollenhauer mit Kreide an die Wand: "Du sollst nicht begehren deines nächsten Haus." Und wieder verschwinden die Spieler, und die Szenerie verändert sich.

Dementsprechend heterogen fällt der Abend in seiner Gesamtheit aus. Doch das Ensemble nutzt diese Heterogenität, treibt sie auf die Spitze und schafft es dabei immer wieder, ein Abbild unserer medialisierten Alltagserfahrung hervorzurufen.

So soll ein "Denkraum" im Theatersaal entstehen - ein dichtes Geflecht aus Bibelanleihen, Alltagssituationen, Grotesken und Anspielungen auf aktuelle Ereignisse. Der Zuschauer wird zum Denken herausgefordert, es bleibt ihm nichts anderes übrig. Was bedeutet das Gebot, nicht zu stehlen, in einer globalisierten Welt, in der man täglich auf Kosten von Leuten in fernen Ländern günstig einkaufen kann? Welchen Wert hat die "Wahrheit" noch in Zeiten, in denen sich ein US-Präsident auf alternative Fakten beruft? Und was kann das Verbot des Ehebruchs heute wohl noch anderes sein als ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten?

Auf all diese Fragen hat natürlich auch der etwa vierstündige Abend im Theater keine klaren Antworten, er versucht auch gar nicht erst, eindeutige zu geben. Aber in Zeiten, in denen man regelmäßig hören kann, wie wichtig es ist, die eigenen Werte zu verteidigen, erinnert er daran, dass man sich selbst auch immer wieder seiner eigenen Werte vergewissern und sie überprüfen muss, bevor man Anspruch darauf erheben kann, sie anderen als Norm und Orientierung zu setzen.

"10 Gebote" ist im Deutschen Theater Berlin am 12 und 26. Februar und am 4. und 21. März zu sehen. Karten: Tel. (030) 28 441-225.