Berlin
Bis die Abrissbirne kommt

In einem ehemaligen Bankgebäude in Berlin toben sich ab April Street-Artists aus Ein Museum auf Zeit

29.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:24 Uhr

Foto: DK

Berlin (dpa) Wer durch "The Haus" läuft, betritt in jedem der 79 Räume eine ganz eigene Welt: hier comichafte Gemälde von  Aliens, die erst unter Schwarzlicht sichtbar werden - da bunte Grafitti-Muster an Wänden, Heizkörpern und Fenstern, dort ein Raum voller Moos. In einem früheren Berliner Bankgebäude in der Nähe des Ku'damms haben 165 Street-Art-Künstler mit "The Haus" ein temporäres Museum geschaffen.

Am 1. April öffnet die Ausstellung für Besucher - bis das Haus im Juni abgerissen wird. Betritt man "The Haus", riecht man gleich: Hier toben sich Graffiti-Künstler aus. Der beißende Geruch von Lack und Farbe ist schon an der Tür in der Luft. Neben klassischen Spray-Werken ist die ganze Palette der "Urban Art" vertreten: Tape-Kunst, Typografie oder Plastiken.

"Wir machen keine reine Graffiti-Veranstaltung. Das wird eine hochwertige Ausstellung verschiedenster geiler Scheiße", beschreibt es Kimo von Rekowski (32), der sich lieber mit Vornamen ansprechen lässt, in breitem Berlinerisch. Er und seine Freunde Jörni (41) und Bolle (41) bilden die Street-Art-Gruppe "Dixons" und betreiben außerdem eine Werbeagentur. Sie hatten die Idee für "The Haus".

Dafür haben sie Künstler aus aller Welt gewonnen: Aus Ecuador, Brasilien, der Schweiz kamen sie - insgesamt sind fast 20 Nationen vertreten. "Aber die Hälfte ist aus Berlin, wir wollen unsere Atzen ja unterstützen", sagt Kimo. Alle Solo-Künstler und Crews bekamen einen eigenen Raum, in dem sie sich ausleben konnten. Mit Fluren und Treppenhäusern sind es 101 Flächen. Vorgaben? Nicht bei den "Dixons". Abgesehen von provokanten politischen Botschaften ist alles erlaubt. "Wir haben den Leuten bloß gesagt, dass sie ihrem Raum ein Konzept, ein Thema geben sollen", sagt Kimo.

Dass sich die Künstler hier ausleben können, gefällt auch Philip. Der 32-Jährige arbeitet unter dem Künstlernamen Señor Schnu und begreift das Projekt als Chance. "Das ist eine geile Plattform, um sich und seine Kunst zu präsentieren." Schnu hat den Moos-Raum gestaltet. Mit seiner Installation will er den aus seiner Sicht scheinheiligen Öko-Wahn vieler Menschen infrage stellen. "Alle tun immer auf nachhaltig, laufen dann aber doch mit Smartphones und Plastiktüten rum", sagt er. Deshalb hat er mitten im Zimmer einen Laptop als Kontrast platziert. 400 Kilogramm Moos hat Schnu für die nach eigener Aussage "größte Moos-Installation der Welt" besorgt, dazu 200 Kilo Joghurt, damit der grüne Teppich an den Wänden hält. 500 Euro investierte er dafür. Alle Künstler mussten ihre Materialien selbst bezahlen, denn hinter "The Haus" steht kein großer Sponsor. Eintritt verlangen die Initiatoren trotzdem nicht. Das leer stehende Gebäude wurde den "Dixons" für ihr Vorhaben von der Immobilienfirma Pandion mietfrei überlassen. Das Unternehmen lässt das Haus im Juni abreißen und baut dann einen Luxus-Wohnkomplex auf dem Grundstück.

Seit Anfang Januar malen, kleben und bauen die Street-Artists in dem ehemaligen Volksbank-Gebäude. Freizeit haben Kimo und die anderen "Hausmeister", wie sich das Organisations-Team nennt, seitdem kaum noch - ganz nach dem Motto "The Wochenende is abgeschafft", das jemand an eine Wand im Pausenraum geschrieben hat. Auch jetzt, wenige Tage vor Eröffnung, werkeln sie noch und räumen auf. Im Minutentakt klingelt Kimos Handy, als er vorbei an Wänden mit buntem Klebeband durchs Haus führt. Das Band sieht im Licht aus wie Laserstrahlen. Es müssen noch Rauchmelder organisiert werden.

Lohnt sich all der Stress überhaupt, wenn alle Kunstwerke nach zwei Monaten in Schutt und Staub zerfallen? Eindeutig ja, findet Kimo. "Unsere Botschaft ist: Komm her, genieß den Moment", sagt er. Vergänglichkeit gehöre zu diesem Konzept wie auch zum Leben. Das Einzige, was am Ende von "The Haus" bleibt, ist "The Buch". 

Auf 300 Seiten sind dort Fotografien der Räume zu sehen. Erarbeitet und verlegt hat das "Haus"-Team das in Eigenregie. "Es ist das Denkmal dieses Projekts", sagt Kimo. Die Besucher werden sogar ihre Handys am Eingang eintüten müssen, Fotos sind tabu. Sie sollen von diesem Projekt nur Eindrücke und Erinnerungen mitnehmen.