Berlin
Auf der Suche nach Wahrheit

Reinhard Kleist zählt zu den erfolgreichsten deutschen Comic-Zeichnern Gerade arbeitet er an einer Graphic Novel über Nick Cave

26.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:23 Uhr

Berlin (DK) Einer der wichtigsten und erfolgreichsten deutschen Comic-Zeichner ist Reinhard Kleist, seine Arbeiten wurden schon mehrfach ausgezeichnet. Der 46-Jährige findet, dass das Comic-Format sich bestens eignet für die Bearbeitung von Biografien.

 

Herr Kleist, wie haben Sie angefangen?

Reinhard Kleist: Ich habe noch studiert, als mein erster Comic 1995 erschien. In "Lovecraft" ging es um die Biografie eben dieses amerikanischen Horror-Science-Fiction-Schriftstel-lers - eine Aufarbeitung von Teilen seiner Biografie zusammen mit Teilen seines Werkes. Und das wiederhole ich gerade bei der Arbeit an einer Comic-Biografie über Nick Cave. Eine ähnliche Herangehensweise gab es auch bei Johnny Cash - Biografie gemischt mit illustrierten Songs.

 

Wie finden Sie Ihre Themen? Bei Johnny Cash oder Nick Cave könnte ich mir vorstellen, dass Sie über die Musik zu den Sängern gekommen sind, aber Sie haben ja auch schon über Fidel Castro eine Comic-Biografie vorgelegt - oder zuletzt über die Sprinterin Samia Yusuf Omar.

Kleist: Das ist unterschiedlich. Bei Cash und Cave war wirklich die Musik ausschlaggebend. Bei Fidel Castro war es so, dass ich zur Vorbereitung auf das Reiseskizzenbuch "Havanna" nach Kuba gereist bin. Damals war Fidel Castro gerade zurückgetreten, und ich dachte mir: Da passiert gerade was, das ist spannend. Als ich dort war, passierte natürlich nichts. Aber ich konnte die Reise nutzen, um für ein Biografie-Projekt zu recherchieren - eben über Fidel Castro. Beim "Boxer", die Lebensbeichte von Hertzko Haft, wiederum war es so, dass ich das Buch, auf dem mein Comic basiert, im Buchladen entdeckte.

 

Und wie war es bei Ihrem jüngsten Buch "Der Traum von Olympia"?

Kleist: Von der Geschichte der Sprinterin Samia Yusuf Omar las ich während eines Artist-in-Residence-Programm mit dem Goethe-Institut in Palermo. Ich hatte mir als Thema gesetzt, etwas über die afrikanischen Flüchtlinge zu machen, die in Europa stranden. Über die Recherchearbeit bin ich auf die Geschichte von Samia Yusuf Omar gestoßen, die Somalia bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking vertreten hatte. Doch sie wurde von islamischen Extremisten bedroht, die ablehnen, dass Frauen Sport treiben. In der Hoffnung, an der Olympiade in London teilnehmen zu können, versuchte sie die Flucht nach Europa - ertrank aber vor der Küste Maltas mit nur 21 Jahren.

 

Wie lange dauert so eine Recherche, bis Sie mit dem Zeichnen beginnen können? Oder haben Sie gleich Bilder im Kopf?

Kleist: Das verändert sich. Zuerst habe ich Zeitungsartikel über Samia gelesen und Blogeinträge im Internet - dabei hat sich rasch ein Bild von ihr entwickelt. Aber ich merkte auch, dass es ganz viele Löcher gibt, von denen ich überhaupt keine Ahnung hatte, wie ich sie füllen sollte. Es gibt lange Passagen ihrer Flucht, die nicht überliefert sind, wo sie alleine war. Also habe ich mit anderen Flüchtlingen gesprochen, habe mir ihre Geschichten angehört, habe sie gefragt, was passiert sein könnte - und so hat sich die Geschichte immer weiter verändert. Ich habe schon versucht, mit dem Buch möglichst nahe an die Wahrheit heranzukommen, aber Gewissheit gab es nicht. Ich hatte mich auch mit ihrer Schwester unterhalten, die in Helsinki lebt. Als sie später die dänische Ausgabe des Comics las und sie ihr gefiel, hat mich das schon sehr beruhigt.

 

Bei Comic-Biografien müssen die Fakten stimmen.

Kleist: Richtig. Ich lege Wert auf eine gründliche Recherche. Gerade bei einem Buch über eine historische Persönlichkeit wie etwa Fidel Castro. Da müssen die Fakten stimmen. Ich hole mir auch manchmal Hilfe bei Experten. Dementsprechend lange dauert es. Bei Samia Yusuf Omar haben die Recherchen sicher ein Jahr gedauert. Bei Nick Cave ist es jetzt etwas anders. Da interessieren mich gar nicht so sehr biografische Details, sondern viel mehr die Verbindung von Leben und Werk.

 

Was ist die größte Herausforderung bei so einer Comic-Biografie?

Kleist: Den Dreh zu finden, wie man die Geschichte erzählt - und nicht den Überblick zu verlieren bei all dem Wissen, das mir dann im Kopf herumschwirrt.

 

Die Fragen stellte Anja Witzke.

 

Reinhard Kleist: Der Traum von Olympia: Die Geschichte von Samia Yusuf Omar, Carlsen, 152 Seiten, 17,90 Euro.