Belcanto vom Allerfeinsten

10.08.2010 | Stand 03.12.2020, 3:47 Uhr

Edita Gruberova nach ihrem Auftritt als Norma. - Foto: Lienbacher

Salzburg (DK) Das Sommerfestival an der Salzach als gesellschaftliches Ereignis. Spätestens am Montagabend wurde es zur Gewissheit. Eine Orgie an Roben und Geschmeide. Im Glanz der Festspielsponsoren durften sich deren Gäste und Geschäftspartner in Smoking und teuren Abendkleidern sonnen.

Da wirkte Bundeskanzlerin Merkel in ihrem Zweiteiler fast brav. Vor allem aber war dieser Festspielabend ein Mekka für die Freunde des Belcanto. Zwar stand nur eine konzertante Aufführung auf dem Programm, aber wenn Edita Gruberova, "die slowakische Nachtigall", die Titelpartie in Bellinis "Norma" singt, ist das Glück der Koloraturen-Fetischisten vollkommen.

An Weihnachten 1831 wurde Vincenzo Bellinis "Tragedia lirica" in der Mailänder Scala uraufgeführt und trat daraufhin ihren Siegeszug durch alle Opernhäuser in der alten und der neuen Welt an. Kein Wunder, hat Bellini (1801–1835) hier eine Musik komponiert, die von Leidenschaft und Dramatik – mit vielen eingestreuten wunderschönen lyrischen Stellen – geradezu birst. Vor allem den Stolz und die Verletzbarkeit, den Rachedurst und das Pathos der Titelfigur hat Bellini höchst expressiv und tief mitfühlend in Töne gesetzt, die elektrisieren.

Denn Norma hat sich als antike Jeanne d’Arc in einen von den Galliern verhassten römischen Besatzer, den jungen, feschen Prokonsul Pollione, verknallt und als Priesterin ihr Keuschheitsgelübde gebrochen. Zwei Söhne sind die Frucht dieser Liebe, die vor dem Volk natürlich verheimlicht werden muss. Doch als Pollione Norma wegen der Novizin Adalgisa im Stich lässt, steigert sich die Wut der Betrogenen ins Unermessliche und schier Grenzenlose: Vor ihrem zum blutrünstigen Krieg gegen die Römer allzeit bereiten Landsleuten gesteht Norma als Oberpriesterin und Verteidigerin der Freiheit Galliens ihr Vergehen und ihre Schuld ein, bittet ihren Vater um Schutz für ihre Kinder und schreitet erhobenen Hauptes zum Scheiterhaufen.

Bellinis aufrüttelnd-aufpeitschende Musik samt all den Feinheiten der poetischen Stellen entlockte der Dirigent Friedrich Haider dem blendend spielenden Orchester der vom einstigen Festspielpräsidenten Bernhard Paumgartner und von Sándor Végh über Jahrzehnte hinweg geleiteten Camerata Salzburg. Ein Rausch von Vitalität und Emotionen samt wundervoller Lyrismen. Vor allem jedoch riss die großartige sängerische Besetzung das illustre Premierenpublikum zu Beifallsstürmen hin. Neben Edita Gruberovas atemberaubenden Koloraturen und hochdramatischen, geradezu explosiven Norma-Eruptionen brillierten Joyce DiDonato als Jungpriesterin Adalgisa mit ihrem prachtvollen, dunkel eingefärbten Sopran ebenso wie Marcello Giordani, der mit herrlich leuchtendem Tenor und sizilianischem Feuer den römischen Frauenhelden Pollione sang, während Ferruccio Furlanetto mit immer noch überwältigendem Bass Normas Vater Oroveso verkörperte. Allein die "Casta Diva"-Arie, eine der größten Herausforderungen aller Sopranistinnen, von Edita Gruberova ebenso aufwühlend und hinschmelzend gesungen zu hören wie die grandiosen Duette zwischen Norma und ihrer jungen Rivalin Adalgisa, dies jagt selbst dem hartgesottensten Opernbesucher kalte Schauer über den Rücken.