Bayreuth
Vom Ende aller Religion

Im Vorfeld lief fast alles schief: Nun gelangt doch ein erstaunlicher "Parsifal" auf die Bayreuther Opernbühne

26.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:30 Uhr

Bayreuth (DK) Wer das Programmheft für die Neuinszenierung von Wagners "Parsifal" in der Regie von Uwe Eric Laufenberg bei den Bayreuther Festspielen aufschlägt, findet gleich am Anfang seitenfüllend ein Zitat des Dalai Lama: "Ich denke an manchen Tagen, dass es besser wäre, wenn wir gar keine Religionen hätten."

Es ist mutig, sich kritisch und radikal mit Religion auseinanderzusetzen. Und wer dabei auch noch den Islam ins Spiel bringt, der ist vielleicht sogar tollkühn. Umso erstaunlicher, dass die Neuinszenierung so beiläufig, so freundlich vom Publikum aufgenommen wurde. Und das trotz der Gerüchte über Burka-Mädchen und Islamkritik im Vorfeld der Premiere. Und das auch trotz der sorgenvollen Stimmung auf dem Grünen Hügel nach den Anschlägen der vergangenen Tage. Denn die Festspiele haben nicht nur den Premierenabend den Opfern des Anschlags von München gewidmet, sondern sich auch gleichsam bis an die Zähne bewaffnet. Polizisten in kugelsicheren Westen kontrollieren die Festspielgäste, Handtaschen müssen ausgeräumt werden, sogar in den Pausen noch, man wird abgetastet wie am Flughafen.

Die Stimmung ist gedämpft bei der Eröffnungspremiere. Und bedrückend ist auch das Geschehen auf der Bühne.

Laufenberg hat den "Parsifal" radikal religionskritisch ausgelegt. Die Gralsritter sind hier Glaubensbrüder in einer christlichen Enklave irgendwo im umkämpften türkisch-syrisch-irakischen Grenzgebiet. Noch während des Vorspiels öffnet sich der Vorhang und zeigt eine halbzerstörte Kirche: Eine Säule fehlt, ein Teil der Kuppel ist zerschossen, die Steine liegen am Boden. Der Kirchenraum wird als Flüchtlingsunterkunft genutzt, die Gralsbruderschaft ist karitativ tätig. Das erste Sonnenlicht des Morgens flutet herein, die Flüchtlinge erwachen, packen Feldbetten zur Seite und gehen beiseite, damit die Glaubensbrüder ihren Ritus ausüben können. Einen Moment später dringen Soldaten in Tarnanzügen und mit Maschinenpistolen im Anschlag herein und durchsuchen die Kirche nach Terroristen. Und dann zeigen Filmbilder während der Verwandlungsmusik plötzlich eine unendliche, metaphysische Kamerafahrt durchs Universum. Die Kamera bewegt sich aus der Kirche heraus, schwebt über der Erde, fährt an Planeten und Sonne vorbei: "Aus dem Raum wird hier die Zeit", heißt es im "Parsifal".

Es herrscht eine Atmosphäre der Angst. Es ist eine geschickte Idee von Laufenberg, die Geschichte in der christlichen Diaspora spielen zu lassen. Die Gralsgesellschaft ist marode, bedroht und krank wie Gralskönig Amfortas. Und sie ist eine blutrünstige Sekte. Die Enthüllung des Grals ist für Amfortas qualvoll: Seine Wunde wird noch einmal geöffnet, mit Dornenkrone steht er da wie Christus, während die Mönche sein Blut trinken. Parsifal verfolgt das fassungslos.

Klingsors Zaubergarten befindet sich dann tatsächlich bei den Moslems. Und hier treten endlich die Burka-Mädchen auf - es sind Wagners Blumenmädchen. Bei Laufenberg reißen sie sich nach und nach die schwarzen Gewänder vom Leib, bis sie wie Bauchtänzerinnen oder Bikinimädchen in einem Schwimmbecken Parsifal gefügig machen wollen. Aber Klingsor ist kein Moslem, er versteckt sich nur bei ihnen. Er selber hortet im Geheimen eine Fetischsammlung voller Kruzifixe, geißelt sich mal oder masturbiert, ein Kreuz lässt sich in einen Dildo verwandeln. Gralskirche und Klingsors Zaubergarten sehen fast gleich aus - und sind irgendwie auch austauschbar. Es sind religiöse Irrläufe, kranke Auswüchse, Pervertierungen. Wenn Parsifal am Ende des Aktes Klingsors Speer abwehrt, zerstört er dessen Reich, die Kreuze fallen krachend zu Boden.

Parsifal ist der reine Tor und der Held der Geschichte, weil er sich bei Laufenberg allen Verführungen der Religion entzieht. Im dritten Akt hat sich die zerschossene Kirche in eine von riesenblättriger Vegetation überlagerte Ruine verwandelt. Gurnemanz und Kundry sind alt, gebrechliche Rollstuhlfahrer. Und Parsifal, der von außen kommende Held, erscheint wieder, wie bereits im zweiten Akt, als Soldat, ein moderner Ritter. Amfortas möchte seine Qualen am liebsten durch seinen Tod beenden. Aber dann heilt Parsifal ihn und eine Unmenge religiöser Devotionalien werden in einem Sarg beerdigt: Kreuze, siebenarmige Leuchter, Gebetstücher - die Utopie einer Welt ohne Religion, in der beim Karfreitagzauber die Menschen nackt im grünen, regennassen Paradies tanzen können. Aber ist Gott tot? Ganz oben im Bühnenhimmel, während des gesamten Stücks hindurch, sitzt eine Figur und blickt auf das Geschehen hinab. Und tut nichts.

Wagner wollte, das hat er mehrfach geschrieben, die Religion durch eine Religion der Kunst ersetzen mit einem quasi erbaulichen Ritus. Vielleicht hat Laufenberg hier in einer sehr modernen Form genau diesen wagnerischen Nerv getroffen.

So gut durchdacht Laufenbergs Konzept ist, so ungelenk ist gelegentlich die szenische Realisierung, wenn Darsteller sich allzu klischeehaft bewegen, wenn es der Speerszene an Raffinement fehlt genauso wie der Kussszene, wenn manchmal zu fantasielos Wagners Text inszenatorisch nachbuchstabiert wird. Man merkt daran, dass im Vorfeld dieser Produktion viel schiefgegangen ist. Laufenberg ist als Regisseur nur zweite Wahl, eigentlich hätte Jonathan Meese inszenieren sollen, bis er durch seine Hitler-Gruß-Aktionen und ein überteuertes Bühnenbild untragbar wurde. Und für Andris Nelsons ist Hartmut Haenchen eingesprungen, ein alter Wagner-Routinier.

Und so klingt es dann auch ein wenig: Haenchen leitet das Festspielorchester und den Chor trotz zügiger Tempi mit ruhiger Hand und klarem Durchblick für die großen Linien der Partitur. Von Nelsons, einem philharmonischen Intensitätskünstler, hätte man möglicherweise mehr und Originelleres erwarten können.

Von Anfang an geplant war die Besetzung des Parsifals mit Klaus Florian Vogt. Eine hervorragende Entscheidung. Vogt singt knabenhaft hell, artikuliert hervorragend, ein verblüffender Tenor. Neben ihm machen besonders Georg Zeppenfeld als samtweich intonierender Gurnemanz und Elena Pankratova als dramatisch-mächtige Kundry einen hervorragenden Eindruck in einer grundsätzlich glänzenden Sängerriege.

Skandale, besonders in Bayreuth, sind die scharfe Würze des Kulturbetriebs. Laufenberg hat fast alles getan, um Protestgeschrei zu erregen. Und erntete doch fast nur begeisterten Beifall - was ist nur los mit den Wagner-Festspielen