Bayreuth
Gebeutelt vom dauernden Personalwechsel

Auch im vierten Jahr fällt Frank Castorfs "Ring des Nibelungen" in Bayreuth aus dem Rahmen

28.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:29 Uhr

Foto: DK

Bayreuth (DK) Ob er jemals einen Blick auf die Bühne getan hat? Wurscht. Marek Janowski lächelt beseelt. Das dringt bis in die hintersten Reihen. Mit 77 Jahren doch noch auf dem Grünen Hügel gelandet zu sein, das ist für einen Wagner-Spezialisten mindestens Genugtuung.

 Dass er den "Ring"-Stab vom hymnisch gefeierten Kirill Petrenko übernommen hat? Auch wurscht. Die jungen Pult-Hupfer machen sich viel zu viele Gedanken. Und schließlich wartet in der Garage ein toller Schlitten. Fern von Frank Castorfs bildbombastischem Kampf ums Öl kann man damit die eigenen Runden drehen und zwischendurch die Reifen quietschen lassen. Nach einem eher unentschiedenen "Rheingold" hat die "Walküre" unterstrichen: Aus dieser späten Begegnung wird keine Liebe.

Janowski jagt im Parforce-Ritt durch die Partitur. Während im Orchester zu vieles durcheinandergerät, haben die Sänger größte Probleme, bei den wahn-sinnigen Tempi mitzuhalten. Was im amüsanten "Rheingold" noch halbwegs gut ging, wurde in der "Walküre" zur desaströsen Kamikaze-Tour. Mancher sah den Flitzer mehrfach von hinten, doch Janowski ließ das völlig kalt. Der im Vergleich zu Petrenkos Molekularküchenzauber eher handfeste Zugriff war im "Rheingold" ja noch eine akzeptable Abwechslung. Mit den miesen Machenschaften der Götter-Bagage und Castorfs Bilder-Geballer ging die Rasanz irgendwie zusammen. Zwischen Lustmatratzen und Vergnügungspool kommt man ja auch schnell zur schmierigen Sache. Etwa wenn die formidablen Rheintöchter (Alexandra Steiner, Stephanie Houtzeel, Wiebke Lehmkuhl) prophylaktisch angeschickert ihren garstigen Galan bezirzen. Albert Dohmen wechselt famos, aber auch etwas zu sehr im Duktus des ehemaligen Chefgotts vom dröhnenden Bösewicht zum säuselnden Buhlen. Neben diesem Alberich sieht Wotan Iain Paterson ziemlich alt aus.

Diese "Ring"-Produktion ist gebeutelt vom dauernden Personalwechsel. Man vermisst die biegsame Freia der Allison Oakes und leidet jetzt mit der in Latex gepferchten Caroline Wenborne. Genauso findet sich Sarah Connolly in der Rolle der First Lady nicht wirklich zurecht. Ihre zunächst passable "Rheingold"-Fricka wird in der "Walküre" zur hysterischen Zicke. Roberto Saccàs Loge bleibt leider etwas fad. Dagegen sind die neuen Riesen erste Sahne. Neben Karl-Heinz Lehner zeigt vor allem der Premieren-Fasolt Günther Groissböck, wo der stimmliche Hammer hängt - selbst der großartige Markus Eiche hat da als Donner fast das Nachsehen.

Auch die umwerfende Nadine Weissmann lässt uns mal wieder in der balsamischen Wucht ihres Mezzos baden. An ihrer Erda mag man sich nicht satthören, und unterm Heulbojen-Geschwader der Walküren kann sie sowieso nur die Klassenbeste sein. Gut so, denn im Holzstadel-Imperium östlicher Ölbarone wird jede Premium-Fachkraft gebraucht. Und das dringend. Denn Regisseur Frank Castorf lässt seine Protagonisten nicht lange gewähren, schon gar nicht, wenn sich große Gefühle oder - ganz schlimm - Pathos anbahnen könnten. Dann wird auf Filmwänden gegengesteuert.

Die Sänger müssen mächtig ackern. Georg Zeppenfeld, der schon einen grandiosen Gurnemanz im "Parsifal" hingelegt hat, gelingt das am besten. Unfassbar, wie dieser Edel-Hunding in jeder Phase höchst präsent ist, die Stimme immer auf dem Punkt.

Beim geplanten Wotan-Wechsel in der "Walküre" imponiert nun John Lundgren im zauseligen Quäker-Bart. Ein Verzweifelter, der die Härte gegenüber seiner Wunschmaid schon gleich wieder bereut. Doch wer kann dieser eindringlichen Brünnhilde der Catherine Foster schon die kalte Schulter zeigen? Mit Feinsinn verfolgt sie Frickas Eherettungs-Mission, um bald tiefem Mitleid zu erliegen. Ihren Sopran hat Foster im Griff, und würde ihr der Dirigent auch nur etwas mehr Zeit und Luft lassen, könnte sie gerade in den Höhen noch intensiver aufblühen. Erstaunlich, dass sich niemand gegen diese Ignoranz im Graben zur Wehr setzt. Aber auch das wäre Marek Janowski wahrscheinlich wurscht.