Faszination des Rhythmus

Beim Abschlusskonzert der Barocktage Schrobenhausen ging es um „Luther und Bach“

11.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:31 Uhr
Beschwingter Ausklang: das Orchester La Banda und das Vokalensemble Phoenix in der Schrobenhausener Stadtpfarrkirche. −Foto: Schalk

Schrobenhausen (DK) Dem evangelischen Pfarrer Gerhard Rupprecht sah man den Triumph an: Ausgerechnet in der katholischen Stadtpfarrkirche Schrobenhausen prangten am Sonntagabend riesenhafte Bildnisse der beiden Protestanten Johann Sebastian Bach und Martin Luther, rechts und links neben dem Altar – Illustrationen für das Abschlusskonzert der Barocktage Schrobenhausen.

Er freue sich ganz besonders, dass dieses Konzert gerade an diesem Ort stattfinde, betonte der Pfarrer der Christuskirche Schrobenhausen bei seiner kurzen Konzerteinführung zu Beginn des Konzertes.

 

Aber natürlich ist das nur eine Pointe. Denn auch Rupp-recht weiß genau, dass die Musik des Barockgenies viel mit Luthers Musikbegeisterung zu tun hat, aber letztlich über alle konfessionellen Differenzen weit hinausstrahlt. Das betont er auch in seiner Rede. Schließlich ließ Bach sich gleichermaßen von evangelischen Komponisten wie Dieterich Buxtehude und katholischen wie Antonio Vivaldi beeinflussen.

Beim Konzert, das der Festival-Intendant Jakob Rattinger konzipiert hat, geht es dann allerdings um rein evangelische Musik, um Bach und seine Vorläufer. Raffiniert kombinierte Rattinger Bachs Vokalmusik mit derjenigen bekannter Komponisten der Renaissance und des frühen Barock. Bereits die kurze Konzerteröffnung spiegelte Gemeinsamkeiten und Kontrast zwischen diesen Welten. Die leidenden und leidenschaftlichen, affektgeladenen Klänge der „Sinfonia aus Christ lag in Tagesbanden“ sowie dem Versus I aus seiner Choralkantate zum Ostersonntag stellte Rattinger eine Version der gleichen Luther-Verse des Renaissance-Komponisten Johann Walter gegenüber. Der Unterschied könnte kaum größer sein: Bei Walter hat sich die Musik kaum erst von den liturgischen Kirchengesängen wegbewegt. Bachs Musik hingegen zeichnet vor allem eins aus: Sie ist durchdrungen von der Faszination des Rhythmus, vom Drive des Tänzerischen. Das ist Musik, wie sie bis dahin unerhört war, weil sie gleichermaßen altmodisch polyfon ist und mitreißt, die Beine schwingen lässt.

Der erste Eindruck wurde durch das weitere Programm bestätigt. In einem zweiten Block präsentierte Rattinger geistliche und weltliche Lieder von der Renaissance bis zum frühen Barock, von Komponisten wie Heinrich Schütz, Johann Heinrich Schein oder Dieterich Buxtehude. Das ist leise, melodische Musik, voller gelehrter und verwickelter Polyfonie, manchmal schwer fassbar, gelegentlich, trotz wunderbarer Interpretationen, ermüdend. Denn, in der Tat, das Ensemble Phoenix ist ein hochkompetenter Anwalt für diese selten gespielte Musik. Die vier Musiker singen nicht nur mit intonationssicheren, vibratoarmen, fast knabenhaft reinen Stimmen, sie sind auch in der Lage, die Melodien mit ausgefallenen Instrumenten zu begleiten, etwa mit einem Nyckelharpa (Marco Ambrosini) oder einem Clavicytherium (Michael Eberth).

Richtig mitreißend wurde das Konzert allerdings erst, als es nach der Pause zu Bach zurückfand. Das Orchester La Banda führte zusammen mit dem Vokalensemble Phoenix die frühe Kantate „Herz und Mund und Tat und Leben“ auf.

Die Vokalisten übernahmen dabei nicht nur die Solo-Arien, sondern sangen, solistisch besetzt, auch die vier Chorstimmen – eine in der Barockzeit durchaus gängige Aufführungspraxis. Allein der Eröffnungschor der Kantate wirkte in dieser Besetzung klanglich ein wenig zu kompakt, der kleine Chor konnte sich gegen das Orchester mit seinen Bläsern nur schwer durchsetzen.

Wunderbar hingegen die Arien, die man selten so authentisch, so kammermusikalisch hören kann. Besonders feurig sang die Sopranistin Marie-Sophie Pollak, begleitet von der unglaublich leidenschaftlich und differenziert spielenden Geigerin Katharina Schwamm. Und auch der berühmte Schlusschoral „Jesus bleibet meine Freude“ war ein Höhepunkt, so beschwingt, flexibel und flüssig im Tempo agierte das Ensemble. Ein perfekter Ausklang für ein wunderbares Festival.