Außen Schatzkiste, innen Wundertüte

18.05.2009 | Stand 03.12.2020, 4:57 Uhr

36 000 Keramikstäbchen verzieren die Museumsfassade. - Foto: oh

München (DK) In Zeiten leerer öffentlicher Kassen könnte dieses Beispiel Schule machen: Eine private Kunstsammlung zieht in ein staatliches Museum. Mit der Sammlung Udo und Anette Brandhorst hat München mit einem Schlag quasi eine "vierte Pinakothek" für zeitgenössische Kunst erhalten – auch wenn das Haus eher die Größe eines Schatzkästleins hat und stets nur die Hälfte seines Bestandes zeigen kann.

Das neue Museum Brandhorst kündet schon auf der Außenhaut mit seinen 36 000 farbigen Keramikstäben, dass es auch im Inneren bunt zugeht. Dabei hat Direktor Armin Zweite für die Eröffnungsschau eine kluge Auswahl aus dem 300 Werke umfassenden Bestand getroffen und bei den 180 Exponaten den Schwerpunkt auf die zwei Säulen der Sammlung gelegt. Zum einen sind dies Arbeiten des klassischen Popkünstlers Andy Warhol, zum anderen Bilder von Cy Twombly, den die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen mehrfach in München ausstellten. Beide Künstler wurden 1928 in den USA geboren und besetzen wichtige Positionen der Kunst des 20. Jahrhunderts. Damit ist klar: Dieses neue Museum will Freunde gewinnen für die zeitgenössische Kunst – eklatant provokante Positionen wie etwa die Plüschtiere von Mike Kelley bleiben vorerst im Depot.

Der Bau des Berliner Architektenpaares Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton wirkt im Inneren, trotz des 18 Meter schmalen Grundstücks an der Türkenstraße, geräumig und licht. Wie eine begehbare Skulptur verbindet in der Mitte des Hauses eine schwere Eichentreppe die drei Etagen miteinander.

Schon der erste Raum ist ein Paukenschlag: Die Natur, den Krieg und die Revolution reflektieren Sigmar Polke, Georg Baselitz und Andy Warhol. Subtile Anspielungen auf sexuelle Gewalt überfallen den Besucher dann im Raum von Eric Fischl, der in flächigem Realismus Szenen aus dem bürgerlichen Milieu zeigt. Verspielt und fast lyrisch der Papagei von Jannis Kounellis oder der Iglu aus Stoffsäcken von Mario Merz. Lediglich Franz West sprengt mit seinen Papp-Plastiken zum Thema Kloake nicht nur den Kopfraum des Erdgeschosses, sondern lässt auch die Konzentration und Fantasie der Betrachter erlahmen.

Das ändert sich im ersten Stock, der ganz Cy Twombly gewidmet ist. Angesichts seines Triptychons in hellem Türkis, auf dem weiße Tupfen segeln, wandert das Gedächtnis des Kunstinteressierten zurück zu Claude Monet. Und spätestens im ovalen Lepanto-Saal wird diese Assoziation bestätigt: Dicht gedrängt hängen an den ovalen Wänden zwölf Leinwände, auf denen fragile Schiffe und leuchtende Feuer der legendären Seeschlacht angedeutet sind. Das gefilterte Oberlicht lässt den Betrachter wie im Dunst des Kampfes stehen. Vorbild dieses gelungenen Raumes ist unverkennbar das Pariser "Jeu de Paume ", der Ausstellungspavillon mit den ovalen Sälen für Monets Seerosenbilder.

Im Untergeschoss ist dann durch eine Erweiterung des Grundrisses auch Platz für größere Skulpturen und für Videoräume. Die mit Lamellen verkleidete Glasdecke auf Rasenhöhe wird freilich äußerst schmutzanfällig sein – das zeigt sich jetzt schon. Besonders spannend ist hier die Kunstauswahl: Religion und Schmerz sind offensichtlich wichtige Themen für zeitgenössische Künstler. Die "Marienerscheinung" Polkes, das "Letzte Abendmahl" und die gekreuzten Messer von Warhol, das Warengestell mit Madonnen von Katharina Fritsch stehen Arbeiten gegenüber, die sich platt und fantasielos mit der Endlichkeit des Lebens auseinandersetzen – allen voran Damien Hirst mit seinem verspiegelten Pillenregal.

Das Museum zeigt unverkennbar den Blick der Sammler Udo und Anette Brandhorst – nicht zuletzt durch den deutlichen Schwerpunkt auf Twombly und Warhol. Ausgespart blieben die Videokunst und Konzeptkunst – das will Direktor Zweite nach und nach durch Ankäufe ausgleichen. Die Gründung der Stiftung Brandhorst mit jährlich erwartbaren Zinsen von etwa zwei Millionen Euro wird dafür sorgen, dass die Sammlung des Hauses wachsen kann und somit eine spannende inhaltliche Ergänzung zur Pinakothek der Moderne darstellt.

Städtebaulich wird durch das neue Museum freilich eine eklatante Lücke sichtbar, denn seit das Haus den Platz der ehemaligen Türkenkaserne wieder ausfüllt, "schreit" die restliche Straßenflucht der Türkenstraße geradezu nach dem zweiten Bauabschnitt der Pinakothek der Moderne – erst dann wäre das Schachbrett-Muster der Maxvorstadt in diesem Areal wieder gefüllt. Dies würde dann auch endlich den Schätzen der Grafischen Sammlung aus dem Provisorium im Nazi-Bau an der Meiserstraße heraushelfen und der Pinakothek der Moderne Ausstellungsmöglichkeiten eröffnen. Wolfgang Heubisch, Staatsminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst, bekannte vor dem neuen Museum Brandhorst, die Frage des zweiten Bauabschnittes läge ihm "besonders am Herzen" und in den Prozess für die Weiterentwicklung des Pinakothekenviertels wolle er sich "persönlich einbringen".

Museum Brandhorst, Theresienstraße 35a, geöffnet vom 21. bis 24. Mai täglich kostenlos von 10 bis 22 Uhr; danach täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr.