Augsburg
Wie eine große Brecht-Box

Von der Revolution bis zur ungewissen Zukunft: Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer am Theater Augsburg

28.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:45 Uhr

Ausdrucksstarke Darbietung: Kai Windhövel, Gerald Fiedler, Klaus Müller und Ute Fiedler in der Inszenierung des Brecht-Stücks Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer von Christian von Treskow. - Foto: Fuhr

Augsburg (DK) Mit den Polen Ich und Wir, Egoismus und Solidarität beschäftigt sich das Augsburger Brecht-Festival in diesem Jahr. Was liegt näher, als das Stück zu zeigen, das auf dieses Spannungsverhältnis schon im Titel hinweist: Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer. Dabei ist unklar, ob der "Egoist" im Titel geblieben wäre, hätte Brecht aus dem Materialkonvolut tatsächlich ein Stück gemacht - wenn er das überhaupt vorhatte. Vieles blieb und ist in diesem selten gespielten, eher unspielbaren Nicht-Stück ungewiss und fragmentarisch. So wird jede Inszenierung auch eine Neukompilation mit je eigenem Akzent. Das Theater Augsburg zeigt eine Fassung, in der dem Egoisten Fatzer sein Kamerad Koch als intellektueller Gegenspieler gegenübersteht, und bewegt sich damit in den Spuren von Heiner Müller, der das 500-Seiten-Manuskript einst bearbeitet hat. Regisseur Christian von Treskow hat die Müller-Version seinerseits aber noch einmal bearbeitet.

Was ist dieser Augsburger Fatzer aber nun für einer? Kai Windhövel zeigt ihn zunächst weniger als Egoisten denn als Anführer, als breitbeiniges Alphatier mit laut scheppernder Stimme, die auch bei einem Punk-Song nicht falsch ist. Er ist es, der seine Kameraden Büsching, Kaumann und Koch am Ende des Ersten Weltkriegs von der Westfront ins vorrevolutionäre Deutschland nach Mühlheim an der Ruhr führt, zu Kaumanns Frau. Die Konstellation zwischen den Deserteuren wird schauspielerisch prägnant verdeutlicht: Da ist Gerald Fiedler als äußerlich starker, großer, aber traumatisierter, innerlich schwer verwundeter Kaumann, Sebastian Müller-Stahl als pragmatischer, zunächst fast blasser Büsching, aber später ist er es, der Fatzers Maschinenpistole in den Händen hält. Genauso überzeugt Klaus Müller als Koch, mit kleiner Gelehrtenbrille, der sich im Hintergrund immer mehr zum Konkurrenten Fatzers entwickelt und letztlich hinter dessen Hinrichtung steht. Der Tod des Egoisten als gerechtfertigte Handlung, weil er die Gemeinschaft bedroht. Wer sich an die "Maßnahme" erinnert fühlt, liegt nicht falsch. Von dem Fatzer-Fragment gehen Verweise und Textverbindungen zu einigen anderen Brecht-Stücken.

Ute Fiedler als biedere Frau Kaumanns und Linda Elsner als Marie ergänzen das Ensemble und setzen, schlank, weiblich, aber nur scheinbar zerbrechlich, den Gegenpol zur Testosteronüberfülle der vier Deserteure. Alle zusammen bilden über lange Passagen den Chor.

Fatzer zieht los, vordergründig auf der Suche nach Essen, eigentlich nach etwas anderem, von dem er selbst nicht weiß, was es ist. Er begegnet verschiedenen Personen, es entsteht in lockerer Szenenfolge ein Gesellschaftspanorama. Seine Kameraden sitzen derweil in der Wohnung Kaumanns, warten auf ihn, und alle zusammen warten auf die Revolution. Das steht auch in großen Lettern im Hintergrund der Bühne (Ausstattung: Oliver Kostecka), aber verkehrt herum, die Buchstaben werden gedreht, abwechseln beleuchtet, die Schauspieler steigen durch sie hindurch, aber eine Revolution wird daraus nicht, und doch fällt ihr in der Augsburger Fassung Koch zum Opfer.

Natürlich bleiben viele Fragen offen, wie sollte es anders sein. Natürlich wird viel verhandelt, und der Zuschauer ist gefordert und herausgefordert. Noch mehr als andere Brecht-Stücke ist der "Fatzer" Kopf-Theater: Es geht um den Krieg und die Revolution, die Gesellschaft und ihre Feinde, es geht - auch - um das Verhältnis zwischen Mann und Frau, es geht um eine Zukunft, die ungewisser denn je ist, und ja, es geht um das Volk und Populismus. Man kann sich den Fatzer-Text als große Schachtel vorstellen, als Brecht-Box sozusagen, in die er Ideen, Thesen, Fragmente, Szenen, philosophische Bruchstücke gepackt hat, und Christian von Treskow und sein Team haben daraus kein Ganzes gemacht, wie auch. Sie haben sich aber in diesem Experimentierkasten klug bedient und eine Versuchsanordnung gebaut, die funktioniert. Auch in dem Sinn, dass der Zuschauer mitexperimentieren und sich daran abarbeiten kann.

Aufführungen im März: heute, am 7., 17. und am 23. Weitere Infos unter www.theater-augsburg.de.