Augsburg
Was vom Terror übrig blieb

"Ulrike Maria Stuart" in Augsburg ist eine Collage aus Videos und Worten

08.10.2012 | Stand 03.12.2020, 0:59 Uhr

Ein schwieriger Abend: Eva Maria Keller in Elfriede Jelineks Stück „Ulrike Maria Stuart“ in der Regie von Sylvia Sobottka - Foto: Schölzel

Augsburg (DK) „Es ist besser, wütend zu sein als traurig“, schleudert die Terroristen-Königin der Welt in einem wahren schillerschen Königinnenmonolog zu Beginn des Theaterabends entgegen. Auf der Brechtbühne zeigt das Theater Augsburg „Ulrike Maria Stuart“. Statt Maria Stuart und Elisabeth I. treffen in Elfriede Jelineks Stück Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin aufeinander. Doch keine Schlacht ist mehr zu schlagen. Der Thron ist für beide verloren, in Stammheim warten nur noch auseinandergerissene und zusammengeknotete Handtücher darauf, dass sich Meinhof an ihnen erhängt.

Wortmächtig sind die Terroristinnen, versiert in einer entpersonalisierten Sprache, die keine Menschen kannte, die nur von der Sache, dem System, dem Kampf, den Waffen sprechen konnte. Dies zugrunde legend erzählt die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek nicht die Geschichte von Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Andreas Baader. Sie erzählt überhaupt nicht. Wie schon in früheren Stücken sind die Texte Collagen, bestehend aus Szenen, die einander mal aufgreifen, mal unterbrechen und sich allmählich wie zu einem kubistischen Gemälde zusammenfügen. Sprachlich eine große Aufgabe, die die vier Darsteller, Ute Fiedler, Lea Sophie Salfeld, Eva Maria Keller und Florian Innerebner, souverän meistern.

Die Regie von Sylvia Sobottka zeichnet dieses Gemälde mithilfe großflächiger Videoinstallationen (Philipp Karau, Stephanie Kayß), die besonders beim historischen Bildmaterial mehr andeuten als zeigen, dafür umso näher auf die Gesichter der Schauspieler und auch des Publikums halten. So entsteht eine Melange aus Laut und Leise, aus Licht und Dunkel, aus Nähe und Distanz, viel wird überzeichnet und grell karikiert – ganz so, wie Jelinek es wollte: Nichts sollte von Höhe und Pathos übrig bleiben, sinnentleert steht dieser Terror allein auf der Bühne.

Die Entpersonalisierung wird so weit getrieben, dass die Figurengrenzen sich auflösen. Es spricht nicht der Volks-, aber der „Revolutionskörper“. Und dennoch zieht sich eine leise Stimme durch den Abend, die auf die hindeutet, an denen der Kampf für die Sache eben doch persönlich wird. Das könnten die Toten sein, doch es sind die Lebenden, nämlich die Kinder, die Ulrike Meinhof zurückließ – und vermutlich nicht nur ihre Kinder. Das Politische kommt trotz aller gegenteiligen Behauptungen nicht umhin, auch immer das Private zu sein.

Das Theater Augsburg hat sich für einen schwierigen Abend entschieden, der dem Publikum viel Eigenleistung abverlangt. Denn die Deutungshoheit liegt zum größten Teil beim Zuschauer, der aus dem Abend seine Eindrücke selbst herausfiltern und zu seinem Gemälde zusammensetzen muss. Das Premierenpublikum zeigte sich willig und quittierte die Inszenierung mit Wohlwollen. Ohnehin ist es besser, kühn zu sein als konventionell, würde die Königin des Theaters sagen.