Augsburg
Pfiffiger Nussknacker

Das Theater Augsburg legt mit dem Tschaikowksy-Ballett in der Ausweichspielstätte Schwabenhalle einen tollen Saisonstart hin

04.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:13 Uhr

Doppelte Premiere: Das Theater Augsburg begeistert mit seiner Neufassung des "Nussknacker"-Balletts. Extraapplaus gab es für die fantasievoll gestaltete Schwabenhalle der Messe. Für die Inszenierung wurde die Ersatzspielstätte zum ersten Mal genutzt. - Foto: Schölzl

Augsburg (DK) Ein Theater ist dann gut, wenn es auch unter schlechtesten Bedingungen sehenswerte Produktionen auf die Bühne bringt - vor allem, wenn es sich letztere erst bauen muss. Bewundernswert ist, was das Team des gebeutelten Theaters Augsburg aus dem Teil der Schwabenhalle in der Augsburger Messe gemacht hat, die es kurzfristig als erste Ersatzspielstätte nutzen darf (nach der vorzeitigen Schließung des großen Hauses). Ein roter Samtvorhang, ein improvisierter Orchestergraben, eine Bühne, die fast ohne Bühnentechnik auskommen muss und dennoch Bühnenzauber verströmt. Dafür schon gebührt dem tapferen Theater ein Sonderlob. Das Publikum dankte bei der Saisoneröffnung auch mit tosendem Beifall und strafte all diejenigen Lügen, die immer wieder in kleinbürgerlicher Manier infrage stellen, wer heute noch in einer Stadt wie Augsburg Theater brauche.

Auf die Beine und die Aushilfsbühne hat Choreograf Mauro de Candia eine Neufassung des "Nussknacker"-Balletts von Peter Iljitsch Tschaikowsky gestellt - ausnahmsweise im Herbst und nicht zu Weihnachten. Aber nicht nur diese Tatsache hilft, die Traditionen kräftig zu entstauben, die man mit dem Ballett-Klassiker gemeinhin verbindet. Candia geht völlig unvoreingenommen an das Werk heran, stellt musikalisch um und entstaubt die Geschichte vor allem von allen tänzerischen Selbstdarstellungen in den typischen Divertissements. Stattdessen erzählt er eine stringente Geschichte von Marie, dem (köstlich!) ungezogenen Teenie auf dem Weg zur liebenden jungen Frau und greift dabei noch deutlicher als sonst auf die E.T.A. Hoffmann-Vorlage vom "Nussknacker und Mäusekönig" zurück. Jenem Märchen, das so deutlich die kindlich-mädchenhafte Psyche durchleuchtet.

Mit dabei als Nussknacker und (durch die Liebe Maries rückverwandelter) Märchenprinz ist auch der Neffe des schrägen Uhrmachers Drosselmeyer. Diese drei Personen bilden das Zentrum von Candias Choreografie - umtanzt von herrlichen Cupcakes, Waffeln und Muffins, aber auch von sechs Schneeflocken, die eine köstliche Parodie aufs klassische Ballett tanzen. Candias Stil geht mal klassisch auf die Spitze, mal auf die ganze Fußsohle, mal tief hinunter zum Boden und ist dabei nicht nur zeitgemäß und natürlich, sondern steigert auch die Ausdruckstiefe der handelnden Personen. Höhepunkt: Marie im Reich ihrer Träume, die sich vom Boden in höchste Höhen erhebt, als sie erstmals die Kraft der Liebe spürt. Dieser große Pas de deux im zweiten Akt mit ihrem Märchenprinzen ist Kulminations- wie Höhepunkt der Choreografie: innig und zugleich verletzlich, voller hochfliegender Gefühle und doch auch wieder ängstlich - wie junge Liebe halt so ist. Es ist einfach nur großartig, wie Michela Paolacci und Tamás Darai das tanzen: technisch im höchsten Maße sauber, leicht wie Federn und tief bewegend. Das ist ganz großes Ballett. Ricchardo de Nigris als Drosselmeyer vervollständigt diese hochkarätige Protagonisten-Riege - mit allen Mitgliedern und Gästen des Balletts Augsburg, der Kinderstatisterie und des Kinderchores.

Besonders schön: Generalmusikdirektor Domonkos Héja hat sich selbst der großen und wahrlich nicht einfach zu musizierenden Musik Tschaikowskys angenommen. Er entlockt den (diesmal endlich auch mal sichtbaren) Augsburger Philharmonikern einen warmen, innigen Ton, der sich farbig und leidenschaftlich zu großen Gefühlen aufschwingt. Die Zauberer dieser Produktion sind nicht zuletzt auch das Bühnen- und Kostümbild. Choreograf Mauro de Candia baute einen schlichten Wohnraum mit vielen Türen, der sich in einen atmosphärischen Traumraum verwandelt und mit ein bisschen Theaterspuk (einem Kronleuchter, der seine Ketten sprengt) und Theaternebel fast ohne Technik Stimmung schafft. Elegant und witzig, einfallsreich und pointiert, mit einem besonderen Sinn für feine Farbharmonie versehen und die Charaktere perfekt unterstützend sind die Kostüme von Margit Flagner. Dieser heutige, wenngleich niemals entzauberte "Nussknacker" ist für die ganze Familie sehr sehenswert.

Weitere Termine in der Schwabenhalle: 6., 7., 8., 9., 22., 23., 29. Oktober sowie im Dezember und im Februar 2017.