Augsburg
Kitsch gegen Kitsch

Gregor Turecek inszeniert "Die Geierwally" am Theater Augsburg

30.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:29 Uhr

Das schönste Mädel in Tirol: Walburga Stromminger ist die Geierwally. Kerstin König spielt in Augs-burg die Titelrolle. - Foto: Schölzel

Augsburg (DK) Wie ein Zelt aus Stacheln trägt sie den schwarzen Tüllrock. Kommt mir nicht zu nahe, sagte der, und gleichzeitig signalisiert er, dass auch diese schroffe Geierwally im Grunde nur ein Mädchen sein will. Einmal darf sie das sogar sein: Da steht dann Kerstin König ganz bezaubernd in einem kurzen Kleidchen vor dem Bären-Joseph (ein lässiger Trapper wie aus einem Karl-May-Roman: Patrick Nellessen) und küsst ihn endlich – nur, um gleich darauf zurückgewiesen zu werden und das Karussell mit Verletzungen, Demütigungen und Missachtungen dreht sich weiter und das Unglück nimmt seinen Lauf.

Die Geschichte von der Geierwally, 1875 von Wilhelmine von Hillern als Roman veröffentlicht, erzählt der junge Regisseur Gregor Turecek am Theater Augsburg als Seelendrama und psychologische Studie. Kein pathetisches Alpenepos, sondern eine sehr heutige Reflexion über die mentalen Auswirkungen von Liebesverweigerung und Liebesbedürftigkeit, aber auch über den Kampf eines Ich gegen Zumutungen und Zurichtungen – vor allem des tyrannischen Vaters.

Er war es, der die 14-jährige Walburga einst in die Steilwand geschickt hatte, um ein Geierjunges aus dem Nest zu holen. Klaus Müller zeigt den Kurat von Heiligkreuz als brutalen Menschendompteur, aber Wally lässt sich nicht dressieren. Und doch ist sie, das lässt Kerstin König immer wieder durchscheinen, gar nicht so hart, burschikos und gefühlsunfähig, wie sie scheint. Sie hat Herzensbildung, verteidigt den alten Knecht Klettenmaier (Butz Ulrich Buse) und hat Sinn für Gerechtigkeit. Aber sie ist eben auch gnadenlos konsequent, zündet ein Haus an und läuft davon, weil sie den Vinzenz Gellner (Sebastian Baumgart), den der Vater ausgesucht hat, nicht heiraten will. Sie flüchtet auf die Rofener-Höfe, wo sie Unterschlupf findet. Tatsächlich haben die Höfe vom Kaiser das Asylrecht erhalten, und die Diskussion darüber zwischen den Klotz-Brüdern und ihrer Schwester ist nicht einmal eine aufgesetzte Aktualisierung – auch wenn Turecek, der zusammen mit Dramaturgin Barbara Bily die Bühnenfassung erarbeitet hat, humorvoll damit spielt.

Mit Humor und Ironie entsorgt er auch die Schlacke aus Alpenkitsch, Heimatfilmdunst und Tümelei, die die Geschichte umgibt. Die Bühne (Maximilian Linder) umgibt ein bunter Glitzervorhang, der schimmert wie die Alpen im Sonnenuntergang, der Hof der Klotz-Familie (Gregor Trakis, Thomas Prazak und Helene Blechinger) ist ein alter prolliger Caravan, und zwischendurch schmettern alle Schlager von Roland Kaiser oder Andreas Gabalier. So wird die Inszenierung gegen Kitsch mit einer augenzwinkernden Überdosis Kitsch imprägniert.

Ein Kolportageelement muss aber auch in Augsburg unangetastet bleiben: die Verwechslung als Katalysator der Katastrophe. Denn Wally beleidigt Afra (Helene Blechinger), weil sie eifersüchtig ist. Doch das biedere Mädchen ist nicht die Geliebte, sondern die Schwester des Bären-Joseph, und damit ist der Knoten aus verletztem Stolz, verweigerter Liebe und dummer Rache so verwickelt, dass es keine Lösung nimmt – und auch kein Happy End.

Glücklich endet dagegen das Experiment, die 150 Jahre alte, längst zum Allgemeingut gehörende, dennoch aber weitgehend unbekannte Geschichte auf die Bühne zu bringen – auch wenn das Premierenpublikum nur zögernd applaudiert. Dabei hätten Regieteam und Ensemble Bravi verdient gehabt.

Nächste Vorstellungen am Theater Augsburg: 5., 12., 13. und 20. Dezember sowie am 3., 6., 19., 23. und 24. Januar 2016, Kartentelefon: (08 21) 3 24 49 00.