Augsburg
Kalauernde Ritter, überdrehte Richter

Das Theater Augsburg bringt "Michael Kohlhaas" als postmodernen Klamauk auf die Bühne

08.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:09 Uhr

Es geht um Gerechtigkeit, Korruption, Selbstjustiz und Moral: Helene Blechinger, Tjark Bernau, Florian Innerebner und Thomas Kitsche spielen unter Ramin Anarakis Regie in der Augsburger Brechtbühne „Michael Kohlhaas“ nach einer Novelle von Heinrich von Kleist - Foto: Matthäus

Augsburg (DK) Wie ein fortwährendes Unrecht aus einem braven Bürger einen Mörder werden lässt, zeigt kein zweites Werk so eindringlich wie Heinrich von Kleists Erzählung Michael Kohlhaas. Das Theater Augsburg widmet sich mit diesem Stoff einer der bedeutendsten Figuren der Weltliteratur.

Doch tut es dies weder mit Ehrfurcht, noch mit Pathos, sondern mit Humor und Tiefstapelei.

Dass man die Frage, wann aus Gerechtigkeitssinn Fanatismus wird, und wann aus Ohnmacht Blindwütigkeit, auf der Augsburger Brechtbühne nicht im ganz Großen, sondern im Kleinen verhandeln will, erklärt schon ein Eingangsmonolog. Einer der Schauspieler berichtet, wie er sich einst von einem Lehrer ungerecht behandelt fühlte, obwohl er doch gar nichts gemacht habe.

Auch Kohlhaas hat nichts gemacht. Er reist mit seinen Pferden durch Sachsen, als man von ihm aus reiner Willkür einen Passierschein verlangt. Weil er den nicht hat, werden zwei seiner Pferde als Pfand einbehalten. Als er versucht, sie auszulösen, findet er zwei abgemagerte, von Feldarbeit zugerichtete Klepper vor. Aus Neid, Dünkel und Bosheit rächen sich der Junker von Tronka und seine Mannen an Kohlhaas, der ihnen die Tiere nicht zum gewünschten Preis verkaufen wollte. Der Pferdehändler glaubt, sein Recht geltend machen zu können, doch er erlebt, dass die adeligen Herren dieses Recht nach ihrem Gutdünken beugen. Jeder Schritt führt zu weiterer Eskalation, bis Kohlhaas mit seinen Anhängern mordend und brandschatzend gegen seine Widersacher zu Felde zieht. Die meisten überleben das nicht.

Wesenskern von Kleists Erzählung ist die eine, immer wieder aufscheinende Frage: Wo? An welcher Stelle genau, verkehrt sich die Moral in ihr eigenes Gegenteil? Wann hat der Klügere nachzugeben? Wann wird aus Recht Unrecht?

Regisseur Ramin Anaraki hat sich für eine interessante Darstellungsform entschieden. Seine vier Schauspieler (Helene Blechinger, Tjark Bernau, Florian Innerebner und Thomas Kitsche) sind alles in einem: Jeder ist Erzähler, jeder ist Kohlhaas, alle füllen auch die Nebenrollen. Mal wird Kleist deklamiert, mal in Rollenprosa gesprochen, dann wieder das Geschehen radikal verkürzt zusammengefasst. Mal nähern sich die vier ihrem Gegenstand empathisch, mal verfremdet; manchmal leise, oft laut. Besonders stark setzt Anaraki aufs Komödiantische. Kalauernde Ritter und überdrehte Richter bevölkern die Szene, und vor allem die trippelnde, wiehernde und schnaubende Darstellung der Pferde selbst sorgte bei den Premierenzuschauern für große Erheiterung. Das ist oft kurzweilig, und doch wirkt dieses Potpourri an vielen Stellen beliebig. Wie ein Kessel Buntes um einen angestaubten Klassiker salonfähig zu machen. Was freilich bei Kleist keine Sekunde lang nötig ist. Auch 200 Jahre nach seinem Tod kann man die im Werk enthaltenen moralischen Fragen auch heute nicht deutlicher stellen.

Vielleicht ist in einem Europa, das einen eigenen Menschengerichtshof unterhält und zugleich tausenden Menschen beim Ertrinken vor seinen Küsten zusieht, die Moral-Frage schon so abgenutzt, dass das Theater ihr nur noch in buntem Polyester, Gesang und Nebelmaschine auf den Pelz zu rücken vermag. Ob das der Ansatz der Regie war, bleibt nur zu erraten. Am besten gelingt die Aufführung im Schlussteil, als an Michael Kohlhaas jeder schmeichlerische, drohende, humorvolle, politisch überzeugende, hilflose Versuch abprallt, ihn zum Einlenken zu bewegen. Sein Furor, Kleists Furor, scheinen hier doch noch durch. Denn nicht Kleist und sein Thema sind angestaubt, eher eine Inszenierung, die heute noch postmodernen Klamauk versprüht. Trotzdem kein Reinfall: Das Publikum quittierte die Premiere mit langem Applaus für Schauspieler und Regie.

Augsburger Brechtbühne, Aufführungen am 11., 12., 22., 23. und 29. Oktober und 14. November.