Augsburg
Drama im großen Kleiderschrank

Anne Lenk inszeniert in Augsburg eine Theaterfassung von Hans Falladas Roman "Kleiner Mann – was nun"

15.05.2015 | Stand 02.12.2020, 21:18 Uhr

Augsburg (DK) Das Geld aus dem Job reicht nicht zum Leben, die Mieten sind hoch, ein Kind wird zum Luxus, der Mensch ist Kostenfaktor und wird an seiner Produktivität gemessen, und in den Firmen setzen Unternehmensberater die Quoten nach oben. Früher nannte man das die Probleme der kleinen Leute, heute sind es prekäre Lebensverhältnisse.

Eine Geschichte aus dieser Welt erzählt Hans Falladas Erfolgsroman „Kleiner Mann – was nun“, und es gibt gute Gründe, ihn heute (wieder) zu lesen. Es gibt weniger Gründe dafür, warum man ihn auf die Bühne setzen muss.

Immerhin hat das Theater Augsburg für seine Bühnenfassung Anne Lenk beauftragt. An ihren schlanken und eleganten Inszenierungen durften sich die Augsburger Theaterbesucher schon mehrfach erfreuen, und das ist auch dieses Mal so.

Natürlich kann man Bühnenversionen von Romanen nur als Erzähltheater zeigen. Die Figuren, vor allem die Hauptfiguren, der „Junge“ (Tjark Bernau) und sein „Lämmchen“ (Lea Sophie Salfeld), wechseln immer wieder vom Dialog zum Erzähltext, werden also die Erzähler ihrer selbst, und nur fünf Schauspieler übernehmen die anderen Rollen, agieren wechselnd als Kollektiv und in Individualrollen. Das erinnert an Andreas Kriegenburgs schon jetzt legendären „Prozess“ in den Münchner Kammerspielen, aber auch an die herausragende Inszenierung von „Meister und Margarita“ von Johanna Schall in Ingolstadt.

Beherrscht wird die Bühne von unzähligen Kleidungsstücken, das Bühnenbild ist praktisch ein riesiger Kleiderschrank, schließlich muss auch der Junge in einem Bekleidungsgeschäft seine Verkaufsquoten erfüllen und sich dafür von Vorgesetzten und Kunden erniedrigen lassen. Die Schauspieler schlüpfen für die unterschiedlichen Rollen in die verschiedenen Bekleidungsstücke und hängen mit ihnen und den Kleiderbügeln an Seilen wie Marionettenpuppen am Spieler – frei ist in dieser Welt niemand, jeder spielt nur seine Rolle oder besser: Er wird gespielt von denen, die die Fäden in der Hand haben. Nur der Junge und Lämmchen entkommen dieser Unfreiheit – allerdings nur, wenn sie für sich sind und nur ihre Liebe leben; es ist das, nur das, was ihnen am Ende bleiben wird.

Fast drei Stunden nimmt sich Anne Lenk Zeit, die Geschichte dieser beiden Kinder, die erwachsen sein müssen, zu erzählen. Das ist reichlich, aber es sind kurzweilige Stunden, auch weil sie den Witz und die Ironie, die in Falladas neu-sachlicher Prosa steckt, lebendig macht. Und doch reicht die Zeit nicht ganz: Zum Ende wirken die Inszenierung und die Erzählung etwas gehetzt. Das Kind, das beide bekommen, der „Murkel“, um den sich so viel in diesem kleinen Leben, in dem es von allem zu wenig und nur von den Sorgen zu viel gibt, dreht, das Kind kommt zu kurz, und auch die verhängnisvolle Dynamik des Abstiegs des kleinen Mannes Pinneberg wird nicht recht greifbar. Der zunehmende Druck, die fehlende Solidarität, ja der Egoismus unter den Kollegen, die Gnadenlosigkeit der Zahlen, schließlich der Verlust des Berufs: die beklemmende Intensität, mit der der Leser des Romans das alles miterlebt, sie fehlt der Bühnenfassung.

Dabei glänzen die Schauspieler durchaus und lassen emotionale, dichte Momente entstehen. Das gilt vor allem für Lea Sophie Salfeld, die das Lämmchen als naive, aber doch wunderbar zuversichtliche, lebenskluge, ja starke Person zeigt, das gilt für Tjark Bernau, der in den vergangenen Jahren in Augsburg eine erstaunliche Entwicklung genommen hat und von Rolle zu Rolle mehr überzeugt.

So erlebt der Besucher eine gute Inszenierung, die der Gegenwart wichtige Fragen stellt. Warum Romane auf die Bühne sollen, kann aber auch sie nicht wirklich beantworten.