"Auch
Neue Wege im Alter

Ein englischer Gentleman sucht seine Vergangenheit

03.02.2016 | Stand 02.12.2020, 20:14 Uhr

"Auch Rechtsanwälte, glaube ich, waren einst Kinder", zitiert Jane Gardam eine Inschrift im Inner Temple Garden in London, einer der traditionsreichen Anwaltskammern Großbritanniens. Im Lunch-raum des Inner Temple lässt sie die Geschichte jenes "untadeligen" Edward Feathers, ehemals Kronanwalt in Hongkong, beginnen und enden.

Geboren in Malaysia, verlebt er dort eine glückliche Kindheit, bis ihn dasselbe Schicksal trifft wie die anderen, Raj-Waisen genannten Kinder britischer Staatsangehöriger fern des Mutterlandes, die schon sehr früh allein zur Schul- und Ausbildung ins Mutterland geschickt wurden - zu Verwandten oder Gastfamilien und in Internate -, wo sie einiges ertragen mussten.

An diese Jahre, an seine ersten Schritte im Berufsleben, an Freunde, Feinde, Leid- und Weggenossen, beginnt Edward Feathers sich zu erinnern, nachdem seine Ehefrau Betty (ebenfalls eine Raj-Waise) stirbt. Sein Pensionärsleben gerät etwas in Unordnung. Feathers erlebt das Altwerden und Alleinsein neu, geht neue Wege - so lenkt er selbst seinen Wagen, als er Orte und Menschen seiner Vergangenheit aufsucht, zieht sich mal nicht nach der strengen Etikette an. Das offenbart Trauer, wirkt auch komisch, weil er dabei wieder Haltung sucht.

In kunstvoll miteinander verwobenen Szenen erzählt Gardam, dass das Leben von "Old Filth" nicht immer geradlinig und schön war. Der Spitzname bedeutet Schmutz, aber auch: Failed in London, Try Hong Kong. Was nur die halbe Wahrheit ist - Raj-Waisen trugen die Sehnsucht nach ihrer indisch-asiatischen Kindheit immer mit sich. Eine Sehnsucht nach Heimat, die Jane Gardam einfühlsam und prägnant erzählt. Gut, dass die als Trilogie angelegte Geschichte endlich auf Deutsch erscheint.

Jane Gardam: Ein untadeliger Mann, Übersetzung: Isabel Bogdan, Hanser-Verlag, 345 Seiten, 22,90 Euro.