Windows 95: Das Fenster zur Zukunft

23.08.2015 | Stand 02.12.2020, 20:53 Uhr

Jubelnde Kundschaft: Als Microsoft heute vor 20 Jahren Windows 95 auf den Markt brachte, kannte die Euphorie bei vielen Nutzern keine Grenzen. - Foto: Blackwood/AFP

Sie nannten es „Midnight-Madness“, Mitternachts-Wahnsinn: Am 24. August 1995 öffneten in den USA viele Computerläden genau um 00.00 Uhr ihre Türen, um die ersten Packungen mit Disketten oder CDs des neuen Microsoft-Betriebssystems Windows 95 unter die Leute zu bringen. „Ich musste das einfach kaufen“, sagte damals ein junger Mann dem lokalen Fernsehsender in Seattle. Das Kuriose daran: Er besaß noch nicht einmal einen PC. „Es ist so hip“, sagte er dem verdutzten Reporter.

Das Windows-95-Fieber war ansteckend: Allein in den ersten sieben Wochen verkaufte Microsoft sieben Millionen Exemplare. Innerhalb eines Jahres waren es 40 Millionen. Mit dieser Software holte Microsoft-Gründer Bill Gates den Personal Computer aus der Nerd-Ecke und kam seiner Vision „ein PC auf jedem Schreibtisch“ einen entscheidenden Schritt näher. 1995 wurden weltweit erst gut 60 Millionen Computer verkauft. Zehn Jahre später überschritt die Zahl der verkauften PCs weltweit erstmals die Schwelle von 200 Millionen, Microsoft hielt damals einen Marktanteil von über 95 Prozent. Seinen Höhepunkt erlebte der PC-Markt 2011 mit 365 Millionen Geräten. Seitdem zeigt die Kurve deutlich nach unten, weil bei vielen Menschen das Smartphone oder ein Tablet-Computer die Funktion des PCs übernommen hat.

An iPhone oder Android war aber vor 20 Jahren noch nicht zu denken. Die Marketing-Kampagne zum Start von Windows 95 setzte damals Maßstäbe. Den beiden Managern Brad Silverberg und Brad Chase war es damals gelungen, bei den Rolling Stones die Nutzungsrechte des Songs „Start Me Up“ für die Premierenfeier und TV-Spots zu besorgen. Zur Präsentation der Software vor 2500 Gästen in der Microsoft-Zentrale in Redmond wurde TV-Star Jay Leno aus Los Angeles eingeflogen. „Die halbe Welt steht Kopf“, wunderte sich die Computer-Zeitschrift „c't“.

Das Microsoft-System brachte eine neue dokumentenorientierte, grafische Oberfläche mit, die überzeugen konnte. Sie kam zwar den Besitzern eines Apple Macintosh irgendwie bekannt vor, für die meisten PC-Benutzer bot Windows 95 jedoch eine echte Premiere. Im Vergleich zum Kommando-Zeilensystem MS-DOS und den ersten Windows-Versionen sah das neue Windows 95 viel besser aus und war auch einfacher zu bedienen.

Der Hype um Windows 95 überdeckte die Nachteile. Die Software bot nur eine schwache Sicherheitsarchitektur und war anfällig für Computer-Viren. Dieses Problems nahm sich Microsoft erst neun Jahre später mit dem Service Pack 2 für Windows XP ernsthaft an.

Auch die Online-Strategie von Bill Gates für Windows 95 ging zunächst nicht auf. Gates hatte in der frühen Entwicklungsphase des Systems den Boom des World Wide Web nicht vorausgesehen. Er glaubte damals an den Erfolg von Online-Diensten wie Compuserve oder AOL und stattete sein Windows mit dem Microsoft-Gegenstück MSN aus. Erst als Netscape mit seinem Browser den Markt überrannte, erkannte Gates die Herausforderung. Vier Monate nach der Premiere von Windows 95 rief er zu einem „Internet-Strategie-Workshop“ nach Seattle und änderte seinen Online-Kurs um 180 Grad.

Die neue Ansage von Gates lautete: „Heute ist das Internet die treibende Kraft bei allen Verbesserungen, die wir bei all unseren klassischen Produkten vornehmen.“ Microsoft verstrickte sich nach dieser Ansage in einen schmutziger „Browser-Krieg“. Der Kampf gegen Netscape hätte fast zur Aufspaltung des Konzerns geführt, weil sich die Aufsichtsbehörden an umstrittenen Geschäftspraktiken von Microsoft störten. Zum Schluss blieb aber Netscape auf der Strecke.

Auch Apple kam mit dem Boom von Windows 95 in Existenznöte. Der damalige Apple-Boss John Sculley hatte zuvor vergeblich versucht, frühe Windows-Versionen als rechtswidrige Mac-Kopien gerichtlich untersagen zu lassen. Mit seinem Macintosh-Betriebssystem steckten die Apple-Ingenieure in einer technischen Sackgasse. Aus diesen Nöten konnte sich Apple erst zwei Jahre später mit der Rückkehr von Steve Jobs befreien, der sein Next-Betriebssystem mitbrachte.

Jobs nahm damals sogar die Hilfe von Bill Gates in Anspruch, um das in Schwierigkeiten geratene Unternehmen zu retten. Microsoft investierte 150 Millionen Dollar in 150 000 Apple-Aktien und zahlte Gerüchten zufolge weitere 100 Millionen Dollar für Urheberrechtsverletzungen der vergangenen Jahre. Dass Jobs viele Jahre später mit dem iPhone und iPad den Microsoft-Bossen Kopfschmerzen bereiten würde, war damals noch nicht abzusehen. dpa