"Google muss entlarvt werden"

30.10.2009 | Stand 03.12.2020, 4:30 Uhr
Georg Schäff, Herausgeber des DONAUKURIER −Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Vor genau zwei Jahren sorgte der DONAUKURIER für bundesweites Aufsehen, als er aus Protest gegen die Vorratsdatenspeicherung mit einer komplett schwarzen Titelseite erschien. Gemäß seiner Überzeugung, dass persönliche Daten streng geschützt werden müssen, unterzog der Verleger des DK, Georg Schäff, jetzt Google Street View einer kritischen Analyse. Im Interview erläutert er seine Gründe.

Herr Schäff, warum haben Sie die Rechtsgutachten zu Street View in Auftrag gegeben?
 
Georg Schäff:
So etwas wie Google Street View darf es in Deutschland nicht geben – und im Idealfall nicht nur aufgrund richterlichen Verbots, sondern im mehrheitlichen politischen Bekenntnis für eine moderne, freie und demokratische Gesellschaft, in der niemand in der ständigen Sorge leben muss, gegen den eigenen Willen im Datennetz eines weltweit agierenden Unternehmens abgespeichert zu werden. Mit nicht absehbaren – und im grenzüberschreitenden Internet praktisch nicht mehr zu kontrollierenden – Folgen für das eigene Leben und auch für die Zukunft unserer Gesellschaft. Das vom Bundesverfassungsgericht geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung muss endlich ernst genommen, respektiert und mit aller Schärfe durchgesetzt werden.

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Google muss entlarvt werden, denn Google ist eine gewaltige, anonyme Maschinerie, weitgehend ohne irgendein Gesicht oder irgendeine sichtbare verantwortliche Person, sich selbst mit einem fast schon religiös anmutenden Mantel der Unschuld und der Selbstlosigkeit bedeckend – und tut doch das alles nur für eine, oder besser gesagt: seine schöne, neue Welt. Google Street View bringt jetzt das Fass zum Überlaufen. Deshalb wollen wir endlich – insbesondere mit unserer heutigen Aktion – eine öffentliche Debatte über die Tätigkeiten von Google entfachen. Die Politik hat sich bezüglich Google Street View bisher auffallend zurückgehalten. Bayerns CSU-Innenminister Joachim Herrmann hat vor Monaten in einem Gespräch nur von "einem unguten Gefühl" gesprochen. Ein ungutes Gefühl allein genügt aber nicht. Deshalb habe ich renommierte Rechtsanwälte beauftragt, die Problematik zu prüfen.
 
Was muss geschehen, damit die fortgesetzten Verletzungen der Privatsphäre im Internet stärker in das öffentliche Bewusstsein dringen?
 
Schäff: Wir müssen uns bewusst werden, dass es nicht fünf vor, sondern bereits fünf nach zwölf ist. Vorratsdatenspeicherung, Bankkontenabfrage und Online-Durchsuchung: das alles gehört längst zur Realität. Aber es scheint in der Politik niemanden wirklich ernsthaft zu stören. In der schönen, neuen Welt von Google werden alle Informationen, die im Internet über uns vorhanden sind, von Google aufgesaugt, und in praktisch nicht kontrollierbarer Weise verwertet. Die Menschen werden zu Nutzerprofilen degradiert. Das Netz und seine Datenspeicher sind unsterblich. Wir haben die Kontrolle über unsere Privatsphäre praktisch schon verloren. Google dominiert und monopolisiert das Internet in kaum vorstellbarer Art und Weise. Die Menschen müssen erkennen und begreifen, dass Google im Zweifel mehr über uns weiß als irgendeine staatlich und demokratisch kontrollierte Institution. Google greift in unsere Privatsphäre ein und – wie im Fall von Street View eindeutig geworden ist – verletzt massiv deutsches Recht. Das ist keine datenschutzrechtliche Bagatelle, sondern eine Missachtung der Menschenwürde. Dieses Bewusstsein muss in die Köpfe der Menschen.
 
Was erwarten Sie vom deutschen Gesetzgeber und den unabhängigen Medien, um dem Machtstreben des Google-Konzerns Einhalt zu gebieten?
 
Schäff: Nicht nur Unternehmen wie Google, sondern auch gewaltige soziale Netzwerke wie StudiVZ, Facebook, Twitter und andere müssen als potenzielle Gefahrenquelle erkannt werden und unbedingt einer strengen nationalen datenschutzrechtlichen Kontrolle unterliegen. Die Medien müssen dem Thema drastisch mehr Aufmerksamkeit widmen und den Menschen die hohe Brisanz der Problematik erklären. Jeder spricht über den Klimawandel. Gleichermaßen müsste jeder über den persönlichen Datenschutz besorgt sein. Das Problem ist, dass sich global agierende Internet-Unternehmen praktisch wie rechtlich sehr einfach der nationalstaatlichen Kontrolle entziehen können. Google – wie andere Internetgiganten natürlich auch – müssten in Deutschland gezwungen werden, ihre Tätigkeiten und ihre Datensammlungen durch eine unabhängige Instanz prüfen zu lassen. Verstöße gegen den Datenschutz müssten sehr empfindlich sanktioniert werden, im Extremfall bis zur Zerschlagung eines Unternehmens. Dafür muss sich die deutsche Politik auch international stark machen. Wirksamer Datenschutz muss zu einem der wichtigsten Vorteile Deutschlands gehören.