Don Alphonso: Warum ich mich vor Google schütze

13.08.2010 | Stand 03.12.2020, 3:46 Uhr

Trau, schau, wem: Wer dem durchdringenden Blick des Internet-Konzerns Google entgehen will, muss selbst aktiv werden. - Foto:dpa

Google setzt Hausbesitzern und Mietern die Pistole auf die Brust: In zwanzig deutschen Großstädten "dürfen" innerhalb von vier Wochen Hausbesitzer und Mieter Einspruch gegen die Abbildung ihrer Häuser, Wohnungen, Umfelder und Lebensverhältnisse erheben.

Der Internetkonzern will dann so gnädig sein, hierzulande die Häuser zu verpixeln; eine Begünstigung, die in anderen Ländern ohne Druck aus Politik und Medien nicht "gewährt" wurde. Wer dann nicht den Anforderungen dieser sich als Quasibehörde benehmenden Firma entsprochen hat, muss damit leben, bei Street View präsent zu sein. Für immer, vermutlich, auch wenn man später einmal umzieht, ein Haus kauft oder erbt. Der Konzern bestimmt, kann Ansichten, Daten und Eindrücke nach Belieben vermarkten, die Betroffenen sind danach wehrlos. Jeder mag sich selbst ausmalen, welche Chancen er gegen den amerikanischen Konzern hat, wenn dieser nach all den Interventionen und Debatten jetzt gerade mal bereit ist, "Einsprüche" zuzulassen, als wäre er Gesetzgeber. Google bekommt alles, der Betroffene nichts außer den Problemen.

Ein Dammbruch

Gäbe es allein auf diese Arroganz der angemaßten Macht eine angemessene bayerische Antwort – die einer freundlichen Offerte fazialer Handzufügung, ha? – so empfiehlt es sich doch, von der Möglichkeit des Widerspruchs Gebrauch zu machen. Nicht nur, weil schon ein kleiner Anteil an Protestierenden dafür sorgen kann, dass ganze Straßenzüge und Blocks Google für die Verwertung wegfallen und der Firma ein klares "So nicht" entgegenschallt: In meinem Fall in München betrifft der Einspruch einen zentralen Block in der Maxvorstadt mit über 100 Bewohnern – das sitzt. Sondern auch, weil Google Street View einen Dammbruch darstellt: Wenn die heute damit durchkommen, wer weiß, wer morgen die nächste Dreistigkeit ein Stück weiter treibt.

Dazu kommt, dass niemand, der in den fraglichen Städten und vermutlich bald auch im ganzen Land lebt, sich den Problemen seines verlorenen Schutzes entziehen kann. Hat man eine Adresse, kann man allein über die Wohnlage und das Aussehen des Hauses zur Person positive Rückschlüsse ziehen, zu jeder Zeit und von jedem Ort der Welt. Aber nicht alle Wohnbereiche sind so hübsch wie die Maxvorstadt.

Es gibt graue Blockgebiete und Arbeiterviertel, es gibt schnell errichtete Vorstädte mit wenig geschmackssicheren Toskanabunkern, und egal, wie viel Mühe man sich selbst mit seinem Wohnobjekt geben mag: Mit Street View kann der Betrachter problemlos das Lebensumfeld anderer erkunden. Den eigenen Lebensmittelpunkt und alles, was darum herum ist. Billige Geschäfte und Kneipen, ungepflegte Fassaden, vollgestellte Balkone, alle Merkmale, die im realen Leben die gar nicht so seltene Abqualifizierung anderer über ihre Wohnorte erlauben, sind mit Street View frei verfügbar.

Das muss keine unmittelbaren Nachteile haben. Aber wenn sich zwei Bewerber um meine Münchner Wohnung finden, kann ich als Vermieter mit Streetview jenen bestimmen, der aus einem besseren Lebensumfeld stammt. Der andere hätte dann eben Pech gehabt. Bei einer Bewerbung wird aus der Adresse mehr als der Wohnort: Eine Suchanfrage, und es wird das soziale Milieu sichtbar, in dem man lebt. Es muss nicht entscheidend sein, aber es kann als Parameter in die Entscheidung mit einfließen. Vielleicht wird dann ein anderer genommen, vielleicht denkt man auch, man könnte dem Bewerber aus einem schlechteren Lebensumfeld ein geringeres Gehalt bieten.

Die soziale Herkunft ist nicht nur im Betrieb, sondern auch im Privaten immer noch von hoher Bedeutung – man will es nicht mit "Baracklern" oder Bewohnern von "Hundehütten" zu tun haben. Oder auch nur mit Leuten, die ihren Balkon als Müllkippe nutzen, oder neben solchen Leuten wohnen, oder aufgrund wenig erfreulicher Lebensumstände dort leben müssen. Das mag spießig sein, aber auch Spießer haben Internet und verstehen sich auf die Möglichkeiten der Schnüffelei und der Schlussfolgerung, egal wie ungerechtfertigt sie sein mag.

Und selbst, wenn die Lebensumstände erfreulich sind: Sie gehen niemanden etwas an. Keinen Werbebelästiger mit Exklusivangeboten, keinen Vertreter von Anlagemöglichkeiten für gehobenes Klientel, keinen Neider oder Stalker aus dem Internet.

Es gibt nur dieses eine Mal

Street View mag hier keine allzu genauen Erkenntnisse liefern, aber es liefert Anhaltspunkte, wo vorher keine waren. Sie sind nicht gut, aber sie sind für alle Bewohner dieses Landes umfassend und vergleichbar, und deshalb auch für kommerzielle Interessen von Google und vielen anderen attraktiv. Vor Street View musste man persönlich vorbeikommen, um sich vom öffentlichen Raum aus ein Bild zu machen. Mit Street View geht es immer und sofort, sobald man es mit persönlichen Daten verknüpft.

Davor sollte man sich schützen, bevor ein Entwickler einer Datenmissbrauchsfirma für Street View neue Funktionen und Verknüpfungen mit anderen Daten schafft, die dann nicht mehr frei im Netz stehen. Aber sehr wohl in einer kommerziellen Datenbank, in der Entscheidungen über Menschen getroffen werden, ohne dass es noch kontrollierbar wäre. In dem Moment, da Street View veröffentlicht wird, kann man es nicht mehr verhindern. Es geht nur präventiv, dieses eine Mal. Bis die Regierung eventuell Gesetze dagegen macht, sind die Daten im Netz und tausendfach an Orten gespeichert, gegen die niemand mehr irgendwelche Einsprüche erheben kann.