"Klatsche für den Gesetzgeber"

02.03.2010 | Stand 03.12.2020, 4:13 Uhr

Karlsruhe (DK) Telefon- und Internetdaten dürfen in Deutschland vorerst nicht mehr massenhaft gespeichert werden. Das Bundesverfassungsgericht erklärte das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung gestern für verfassungswidrig.

Die Speicherung von Telefon- und Internetdaten für sechs Monate war Ende 2007 von der damaligen großen Koalition beschlossen worden, um Ermittlungen gegen Terrorverdächtige und Schwerverbrecher zu erleichtern. Grundlage dafür war eine EU-Richtlinie. Fast 35.000 Bürger zogen gegen das Bundesgesetz nach Karlsruhe.

Die Verfassungsrichter gaben der größten Massenklage in der Geschichte der Bundesrepublik nun weitgehend Recht. Bei der Datenspeicherung handele es sich "um einen besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt", sagte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier bei der Urteilsverkündung. Anhand der Daten seien "tiefe Einblicke in das soziale Umfeld" möglich. Die Speicherung der Daten ohne einen Verdacht sei geeignet, ein "diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetsein" hervorzurufen.

Die Karlsruher Richter ordneten die unverzügliche Löschung aller bisher gesammelten Verbindungsdaten an. Sie erteilten einer Speicherung aber keine generelle Absage. Die EU-Richtlinie stellten die Richter nicht in Frage. Damit vermieden sie einen Konflikt mit dem Europäischen Gerichtshof. Um die Strafverfolgung effektiver zu machen, könne ein Eingriff in das Telekommunikationsgeheimnis grundsätzlich angebracht sein, erklärten die Richter.

Für eine mögliche Neufassung des Gesetzes machten sie aber klare Vorgaben: So muss die Sicherheit der Daten gewährleistet sein, und der Betroffene muss erfahren, dass seine Daten übermittelt wurden. Wichtigste Voraussetzung: Die Daten werden von den einzelnen Telekommunikationsunternehmen gesammelt, so dass der Staat niemals selbst in Besitz eines Datenpools kommt. In der schwarz-gelben Koalition bahnt sich nun ein neuer Konflikt an. Während Innenminister Thomas de Maizière (CDU) die Datenspeicherung in engen Grenzen zügig doch noch durchsetzen will, tritt Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) auf die Bremse. Die Ministerin sprach von einem "herausragend guten Tag" für Grundrechte und Datenschutz. "Diese Entscheidung wird auch auf Europa ausstrahlen." Für weitere anlasslose Datensammlungen auf EU-Ebene sei der Spielraum nun geringer.

De Maizière forderte Leutheusser-Schnarrenberger auf, die EU- Richtlinie zügig umzusetzen. "Ich hätte mir am heutigen Tag ein anderes Urteil gewünscht", sagte der CDU-Politiker. Die Opposition zeigte sich zufrieden. Grünen-Chefin Claudia Roth sprach von einer "richtigen Klatsche" für den Gesetzgeber. Georg Schäff, der Verleger des DONAUKURIER, würdigte die Entscheidung als "Meilenstein zum Schutz der Grundrechte".