Ingolstadt
"Ich glaube, Google hat schwer zu kämpfen"

23.06.2010 | Stand 03.12.2020, 3:55 Uhr

Datenschutz ist ihr großes Thema: Ilse Aigner im Gespräch mit den DK-Redakteuren Til Huber (rechts) und Christian Silvester. - Foto: oh

Ingolstadt (DK) Lange schien das Thema Daten- und Persönlichkeitsschutz im Internet die Volksparteien kaum zu interessieren. Während die Kameraautos des Google-Konzerns für den umstrittenen Dienst Street View systematisch und ohne Rücksicht auf die abgebildeten Bürger Deutschlands Straßen fotografierten, regte sich im Wesentlichen bei FDP und Grünen Widerstand.

Von SPD und Union war lang wenig zu hören – zumindest wenig Kritisches über Internetgiganten wie Facebook oder Google, die im Verdacht stehen, sich nicht für das deutsche Datenschutzrecht zu interessieren. Mit Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner deutet sich eine Wende an. Die CSU-Politikerin knöpft sich vor allem das Netzwerk Facebook und Google Street View vor. Im Gespräch mit den Redakteuren Til Huber und Christian Silvester erzählt Aigner, wo sie die größten Bedenken hegt, und mit welcher Strategie sie den Schutz der Persönlichkeit im Internet verbessern will.

Frau Aigner, Anfang Juni haben Sie demonstrativ Ihre Mitgliedschaft bei Facebook gekündigt. Jetzt erfahren wir von einem Hacker-Angriff auf Ihre Internetseite. Wird es Ihnen langsam ungemütlich in der virtuellen Welt?

Ilse Aigner: Der Hacker-Angriff war zwar unangenehm, aber nicht persönlich gegen mich gerichtet, sondern es war ein Angriff auf die Firma, die meine Homepage betreut, also war ich ein Mit-Opfer. Ich glaube nicht, dass die konzentriert gegen mich eingewirkt haben. Aber insgesamt ist dieses Thema ein sehr spannendes, weil sich die Menschen dessen bewusst sein müssen, dass sie überall Spuren im Netz hinterlassen, und dass jede Suchanfrage, jede Seite, die man aufruft, einem irgendwann zugeordnet werden kann. Das ist genau die Frage, die wir hier thematisieren.

Was hat Sie dazu bewogen, so öffentlichkeitswirksam Facebook den Rücken zu kehren?

Aigner: Der Auslöser war die Ankündigung, dass Facebook Nutzerdaten an Dritte weitergibt, ohne vorher zu fragen. Das ist nicht legal. Es widerspricht dem Telemediengesetz. Ich wollte das Thema auch mit Facebook diskutieren und aufklären, um davon abhängig zu machen, ob ich dabei bleibe. Wir hatten dann eine Diskussion, doch nachher war klar, dass die Grundsatzfrage unbeantwortet bleibt. Facebook will immer noch alles möglichst offen gestalten, jeder Nutzer soll von sich aus die Schutzeinstellungen vornehmen. Damit war diese Frage für mich erstmal geklärt. Und dann bin ich aus Facebook rausgegangen.

Was verlangen Sie konkret?

Aigner: Es geht mir um die Grundeinstellung. Ist da, wenn ich in ein Netzwerk gehe, erstmal ein geschlossener Raum, in dem ich selber die Fenster aufmache, wenn ich die Leute reinlassen? Oder ist es eine Philosophie wie bei Facebook, wo der Raum erst offen ist und ich mühsam alle Fenster zu machen muss, damit ich den geschützten Raum habe, in dem ich meine mich zu befinden.

Wie hat Facebook auf den Austritt einer Bundesverbraucherschutzministerin reagiert?

Aigner: Zwei Tage nach meinem offenen Brief kam eine E-Mail des Facebook-Europachefs. Aber das Entscheidende ist vielmehr: Facebook wird mein Austritt nicht treffen, doch die Debatte darüber hat relativ hohe Wellen geschlagen, und zwar weit über die deutschen Grenzen hinaus. Sie ist sogar bis nach Amerika geschwappt. Man soll hier nicht unterschätzen, dass gerade Deutschland ein sehr interessanter Markt ist. Die Sensibilität für den Datenschutz ist in Deutschland stark verankert – deswegen schauen die im Ausland ganz genau auf uns.

Die Zahl der Fälle von Datenmissbrauch und Angriffen auf die Privatsphäre im Internet steigt, und damit das Unbehagen der Nutzer. Pessimisten beklagen die Herrschaft einer Handvoll Konzerne, Optimisten preisen die unbegrenzte Freiheit dieses neuen Mediums. Wo stehen Sie in diesem Spannungsfeld?

Aigner: Das eine und das andere schließt sich ja nicht aus. Es gibt riesige Chancen im Netz. Das ist die positive Seite. Aber da ist eben die Frage dieser fast monopolartigen Strukturen, die sich da entwickeln und sich irgendwann auf den Einzelnen auswirken können. Was passiert etwa, wenn man sich nur noch über Facebook unterhalten kann, weil die eine marktbeherrschende Stellung haben? Die Frage ist: Wo geht die Entwicklung hin? Bei Google ist es schon so: Wenn 90 Prozent aller Suchanfragen weltweit nur noch über Google abgewickelt werden, wie schaut’s dann etwa mit der Freiheit eines Gewerbetreibenden aus, wenn es darum geht, ob er bei Google Werbung schaltet oder nicht?

Sie haben im April eine Vereinbarung mit Google getroffen, der zufolge die deutschen Straßenbilder erst online gehen dürfen, wenn alle Widersprüche von Bürgern voll umgesetzt worden sind. Mitte Mai hat Bayerns Innenminister Joachim Herrmann die Fotofahrten vorerst stoppen lassen, wenn auch wegen etwas anderem: dem illegalen Abfangen privater Daten aus WLAN-Netzen. Wie ist der aktuelle Stand im Fall Google?

Aigner: Das Allerwichtigste ist: Man kann immer noch Einspruch einlegen. Entweder persönlich oder mit Unterstützung der Gemeinde in einer gesammelten Variante. Es ist möglich, dass ein ganzer Straßenzug Widerspruch einlegt, damit die Bilder gelöscht werden, bevor dieser Dienst ins Internet geht. Zweitens müssen alle Personen auf den Fotos unkenntlich gemacht werden, ebenso Nummernschilder. Was noch aussteht, ist die komplette Aufklärung darüber, welche Daten Google aus WLAN-Netzen aufgezeichnet hat. Da ist der Datenschutzbeauftragte momentan zugange.

Der kritisiert, dass er nicht auf die Daten zugreifen darf.

Aigner: Genau. Es gibt bereits Unmut, weil Google in den USA einfach keinen Einblick auf die Originalfestplatten gewährt. Ich halte es schon für etwas seltsam, dass der zuständige Datenschutzbeauftragte – angeblich aus Gründen des Datenschutzes – nicht Zugriff auf eine Festplatte bekommt, um zu prüfen, ob die datenschutzrechtlichen Vorgaben in Deutschland eingehalten wurden. Die Daten liegen irgendwo in Amerika, und keiner von uns weiß genau wo.

Die deutschen Innen- und Justizminister befassen sich inzwischen kritisch mit Street View. Welche Vorschläge zur Verschärfung des Datenschutzes liegen da auf dem Tisch?

Aigner: Eine wichtige Frage ist: Können die Fotos von Häusern verknüpft werden? Konkreter Fall: Ich gebe bei Google Ihren Namen ein, und dann kommt eine Karte, auf der Ihr Name auftaucht. Bei mir ist das schon so: mit meinem Ministerium. Aber ich will nicht, dass auch meine Privatadresse auftaucht. Außerdem wird noch zu klären sein: Wie erfahre ich auch als Nicht-Internetnutzer, dass Fotos gemacht werden? Kann man von Google verlangen, dass die jeden informieren, etwa über eine Tageszeitung? Dann wird es darum gehen, wie ein Widerspruchsrecht verankert wird. Denn das darf nicht nur ein Entgegenkommen von Google sein, sondern ich muss einen gesetzlichen Anspruch darauf haben.

Staatliche Datenschützer berichten von einem schwierigen Umgang mit Google. Wie ernst nimmt der Konzern eine Bundesministerin?

Aigner: Daran, dass andere – von Microsoft bis Apple – bei mir anfragen, kann man erkennen, dass die Macht des Verbrauchers durchaus erkannt wird. Denn das ist ja alles ein flüchtiges Gut. Sie können heute bei Google surfen und morgen bei Yahoo oder anderen Suchmaschinen – da gibt es keine Verträge. Deshalb ist das Vertrauen hier eine der wertvollsten Währungen. Ein Imageschaden ist ein sehr scharfes Schwert. Es gab letzthin eine Umfrage über den Wert von Marken, und keine ist so abgestürzt wie Google. Das hat mit der öffentlichen Diskussion und der WLAN-Geschichte zu tun.

Die Rechtsgutachter des DONAUKURIER kritisieren an Street View im Wesentlichen vier Dinge: Es werden Persönlichkeitsrechte beeinträchtig. Wegen der Kamerahöhe von gut drei Metern kann sich Google nicht mehr auf die Panoramafreiheit berufen. Bereits das erste Speichern der Foto-Daten im Kamerafahrzeug ist illegal. Und schließlich ist das derzeitige Widerspruchsverfahren unzulässig, da Google erst die Bürger fragen muss, bevor Häuser fotografiert werden. Wie weit teilen Sie diese Auffassung?

Aigner: Genau diese Fragen wollen wir nun klären: Wo kann man geltendes Recht verändern? Oder andersherum: Passen unsere Gesetze eigentlich noch zu einem Medium, das es bei der jüngsten Fassung des Datenschutzrechts ja noch gar nicht gegeben hat? Aber um das zu klären, brauchen wir die Mithilfe anderer Ressorts, besonders Inneres und Justiz, denn wir haben dafür nicht die Rechtsabteilungen im Haus.

Damit kommen wir zum nächsten Problem: Google Germany erklärt sich oft für nicht zuständig und verweist auf die Zentrale in Kalifornien. Dort stehen auch die Server voller Daten aus Deutschland. Welche Möglichkeiten hat der deutsche Gesetzgeber, dem Weltkonzern Grenzen zu setzen?

Aigner: Zum Beispiel bei der Frage des Gerichtssitzes. Also: Wo kann man überhaupt klagen? Wie kann man vorgehen? Auch das klären wir gerade.

Für wie realistisch halten Sie es, dass wir eines Tages im Internet eine nennenswerte, verlässliche internationale Rechtssicherheit bekommen?

Aigner: Das sind ziemlich dicke Bretter, die es dafür zu bohren gilt, weil da ziemlich unterschiedliche Auffassungen aufeinandertreffen. Die Frage des Datenschutzes hat bei uns ein ganz anderes Gewicht als in den USA. Ich habe so den Eindruck: In Amerika nimmt man sich erst einmal das Recht, bis einer widerspricht. Aber unabhängig von internationalen Fragen gilt: Wer in Deutschland Internetdienste anbietet, muss sich auch an das deutsche Recht halten!

Wann kommt Google Street View in Deutschland?

Aigner: Ich weiß es nicht genau. Das hängt von den Einsprüchen ab. Ich glaube, Google hat schwer zu kämpfen. Die Frage ist, ob sie ihren geplanten Start noch halten können. Ich glaube eher nicht. Aber das sind alles Vermutungen.

Auf kommunaler Ebene machen zahlreiche Politiker aller Parteien Front gegen Street View. Auf Landesebene sind vor allem FDP und Grüne engagiert. Aber die SPD und auch Ihre CSU wirken hier sehr desinteressiert. Sie schienen lange die einzige aus der ersten Reihe der CSU zu sein, die sich kritisch über Google und Co. äußert. Warum sind die Volksparteien so passiv?

Aigner: Also die Dorothee Bär (stellvertretende CSU-Generalsekretärin, d. Red.) ist sehr interessiert. Sie hat sich auch in der Facebook-Sache mit anderen Parlamentariern zusammengeschlossen. Wir haben da einiges aufgewirbelt, und ich gewinne schon den Eindruck, dass das jetzt eine Wellenwirkung in den größeren Parteien hervorruft. Vielleicht haben sich viele Politiker mit dem Thema einfach nicht so intensiv beschäftigt.

Jüngst haben Verbraucherschützer Sie als einzige Ministerin positiv erwähnt und betont, Sie hätten eine Volksbewegung gegen Street View in Gang gesetzt.

Aigner: Danke!

Wie wollen Sie diese Bewegung weiter befeuern?

Aigner: Zum Beispiel mit Ihnen. Denn die Öffentlichkeit muss wissen: Es geht immer um die freie Entscheidung. Die Leute können sich im Netz ins Schaufenster stellen, wenn sie wollen, voll oder halb entblößt – es muss nur immer freiwillig sein und sie müssen es wissen. Deshalb lautet die Grundregel meiner Verbraucherpolitik: Klare Transparenz der Anbieter, Kompetenz der Verbraucher und, wenn’s nötig ist, die entscheidende Durchsetzung des Rechts. Dieser Dreiklang ist die Grundlinie meiner Politik.