"Das ist ein klarer Eingriff in die Privatsphäre"

12.03.2010 | Stand 03.12.2020, 4:11 Uhr

Im Fokus von Google: Auch in Riedenburg werden die Fotofahrzeuge für den Online-Dienst Street-View in den nächsten Wochen wieder unterwegs sein. Angeblich lediglich für Nachbesserungsaufnahmen, wie der DONAUKURIER auf Anfrage bei Google Deutschland erfahren hat. - Foto: Janda

Riedenburg/Kelheim (DK) Der Angriff auf die Privatsphäre der Menschen im Kreis Kelheim geht weiter: Diesen und kommenden Monat setzt das amerikanische Internetimperium Google seine Fotofahrten für den Online-Dienst Street-View fort – auch auf den Straßen des Landkreises.

Der Mann, der in einem Straßencafé in der Kelheimer Innenstadt überrascht aufspringt, als ihm die Bedienung den Eiskaffee über sein weißes Hemd kippt, die attraktive Brünette, die im knappen Bikini auf ihrem Fahrrad vom Agathasee bei Riedenburg heimradelt, oder der alte Herr, der auf seiner Terrasse im Abensberger Ortsteil Offenstetten ein Nickerchen macht – sie alle könnten schon bald neben Tausenden anderen ahnungslosen Menschen im Landkreis Kelheim im Internet landen. Ob sie wollen oder nicht – Google sei dank.

Der amerikanische Internetgigant mit Sitz in Mountain View (US-Bundesstaat Kalifornien) hat es sich zur Aufgabe gemacht, unsere Welt unter dem klingenden Namen Street-View ins Internet zu bringen. Mit abermilliarden Fotos, die seine Kamerawagen machen. Meter für Meter, Gemeinde für Gemeinde und Landkreis für Landkreis. Um Erlaubnis gefragt hat der Konzern niemanden. Entsprechend kontrovers sind die Meinungen zu diesem Thema. Auch in den Rathäusern und im Landratsamt des Landkreises Kelheim klaffen die Ansichten auseinander – von "derzeit kein Problem", wie es Neustadts Bürgermeister Thomas Reimer (SPD) ausdrückt, über "überflüssig wie ein Kropf", dem vernichtenden Urteil des Essinger Rathauschefs Jörg Nowy (FW), bis zu "George Orwell lässt grüßen", dem süffisanten Kommentar vom Bürgermeister der Marktgemeinde Painten, Willi Dürr (SPD), in Anspielung auf die Überwachungs-Utopie in Orwells Buch "1984".

Bürger, die sich gegen fortschreitende Transparenz der Gesellschaft wehren wollen, sind übrigens nicht völlig allein. "Wir nehmen Beschwerden gerne entgegen und leiten diese an die entsprechenden Stellen weiter", sagt etwa der Riedenburger Hauptamtsleiter Günther Wagner. Sinnvoller sei allerdings der direkte Kontakt zu Google. Einen ähnlichen Service bieten die meisten Rathäuser im Kreis an. Und auch der Landkreis steht seinen Bürgern zur Seite: "Unser Datenschutzbeauftragter kann besorgten Bürgern sicher Ratschläge geben", meint Heinz Müller, Pressesprecher am Landratsamt. Mehr als beraten und unterstützen können die Verwaltungsbehörden allerdings nicht – weil es schlicht und ergreifend "keine Handhabe gibt, um tätig zu werden", sagt Wagner. Den Kommunen sind eigenen Angaben zufolge also die Hände gebunden – dem Bürger allerdings nicht. Für ihn gibt es sehr wohl einige Möglichkeiten, gegen unerwünschte Fotos vorzugehen. Auch der DONAUKURIER bietet Hilfe an (siehe Kasten).

Ob es sich bei Google Street-View um ein rechtmäßiges Projekt handelt oder ob das Vorhaben die Grundrechte der deutschen Bürger verletzt, daran scheiden sich nach wie vor die Geister. Der DONAUKURIER hatte seine Leserinnen und Leser bereits Anfang November des vergangenen Jahres ausführlich auf die Gefahren des Multimedia-Angebots aufmerksam gemacht. "So etwas wie Google Street-View darf es in Deutschland nicht geben", sagte damals Georg Schäff, der Verleger des DONAUKURIER. Drei vom DK unabhängig voneinander in Auftrag gegebene Gutachten bestätigten damals die schlimmsten Befürchtungen. Demnach sind die Aufnahmen unzulässig. Weil sie aus rund drei Metern Höhe entstehen – und damit Einblicke in nicht öffentlichen Raum liefern, die auf Augenhöhe nicht möglich wären – und die Identifizierung der fotografierten Personen trotz Unkenntlichmachung von Gesichtern möglich ist.

Das hält auch der Bürgermeister der Marktgemeinde Essing, Jörg Nowy, für bedenklich. "Wenn die mein Haus fotografieren, habe ich damit kein Problem", sagt er, das könne ja jeder machen. "Wenn die aber in mein Wohnzimmer reinschauen, dann hat das schon andere Dimensionen." Überhaupt erschließe sich ihm der Sinn der ganzen Aktion nicht.

Uwe Brandl, Bürgermeister der Stadt Abensberg, sieht in Street-View auch die Gefahr einer "Fundgrube für Leute, die Einbrüche planen wollen". Der bayerische Städte- und Gemeintag, dessen Präsident der CSU-Politiker ist, habe bereits auf derartige Bedenken hingewiesen, erklärt er. "Das beeindruckt Google allerdings nicht."

"Das ist schon eine interessante Geschichte", findet der Paintener Bürgermeister Willi Dürr (SPD). Wie der Google-Konzern allerdings die Ausführung des Projekts handhabt hält der Rathauschef für weniger ideal. "Dass die da einfach durch die Straßen fahren, halte ich für sehr bedenklich", sagt er. Seiner Meinung nach steht fest: "Das ist ein klarer Eingriff in die Privatsphäre." Er will sich nun genauer informieren und die Bürger auf ihre Möglichkeiten aufmerksam machen.

Ähnlich deutliche Worte findet der Kelheimer Landrat Hubert Faltermeier (FW) zum Projekt des Google-Imperiums. Auch er spricht vom "Eingriff in die Privatsphäre eines jeden einzelnen". Seiner Meinung nach gibt es Grenzen. Und "der Gartenzaun ist hier die Grenze". Handeln und Widerspruch einlegen müsse allerdings jeder selbst.

Weniger Sorgen machen sich die Bürgermeister von Kelheim und Riedenburg. Was er tun würde, wenn das Google-Auto an ihm vorbei fahren würde? "Lächeln, strahlen und winken", sagt der Rathauschef der Kreisstadt, Fritz Mathes (FW). "Wir Politiker sind so oft wo abgebildet, da hätte ich damit kein Problem." Und Michael Schneider (CSU) meint auch: "Mich selbst würde es nicht stören; ich bin die Öffentlichkeit gewohnt, das muss ich hinnehmen."

Dass viele Bürger das anders sehen, kann Mathes aber gut verstehen. "Das ist ja ein zweischneidiges Schwert", findet er. "Auf der einen Seite will jeder was von der Welt sehen, auf der anderen Seite sollen möglichst keine Daten erfasst werden." Diese Daten zu kontrollieren ist laut Schneider allerdings nicht Aufgabe der Kommunen. "Diese Schlacht wird nicht hier entschieden", meint auch der Riedenburger Hauptamtsleiter Günther Wagner.

Der Neustädter Rathauschef Thomas Reimer gibt zu, sich mit dem Thema bisher kaum auseinandergesetzt zu haben. "Einblicke, die normalerweise nicht gewährt werden, sind allerdings schon problematisch", findet auch er. Falls wirklich etwas fotografiert wird, das nicht für die Öffentlichkeit geeignet ist, "dann muss man eventuell tätig werden."

Wie schwierig das allerdings ist, zeigt schon allein das Fehlen eines genauen Terminplans für die Fahrten. Denn wann die Google-Autos mit den markanten Kameras in rund drei Metern Höhe in welcher Landkreiskommune unterwegs sind, lässt sich nicht herausfinden, wie der DK im Gespräch mit Stefan Keuchel, Pressesprecher von Google Deutschland, erfahren hat. Lediglich die Landkreise und kreisfreien Städte, in denen die Fahrzeuge aktuell fotografieren, stehen laut Keuchel im Internet unter http://maps.google.de/intl/de/help/maps/streetview/where-is-street-view.html – und selbst das erst seit einer Protestwelle.

Wer dem Konzern also ein Schnippchen schlagen will, indem er einfach an bestimmten Tagen sein Haus verbarrikadiert und keinen Fuß vor die Tür setzt, hat schlichtweg keine Chance. Ein Entkommen ist schier unmöglich – selbst angesichts des relativ geringen Ausmaßes der neuerlichen Touren. Schon im vergangenen Jahr hat Google seine Spione durch den Kreis geschickt. Denn derzeit "werden nur noch Lücken gefüllt und Fahrten dort wiederholt, wo es technische Probleme mit dem Bildmaterial gibt", erklärt Keuchel. Insgesamt seien einige Dutzend Autos auf dem Globus unterwegs. Um unsere Welt ein Stück weit gläserner zu machen.

Auch das Angebot des Online-Riesen, Nutzern die Entfernung ihres Hauses direkt im Internet über den Button "Ein Problem melden" zu vereinfachen, hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Denn diese Möglichkeit wird es, wie Google-Sprecher Keuchel erklärt, erst nach Einführung des Dienstes geben.