Brüssel
Geheime Machenschaften in Brüssel

19.08.2015 | Stand 02.12.2020, 20:54 Uhr

Brüssel (DK) Die Daten von Internetnutzern in der EU sollen einheitlich und besser geschützt werden. Doch es läuft nur schleppend. Denn Firmen wie Google, Amazon und Ebay führen seit Längerem eine Lobby-Schlacht, um den besseren Datenschutz zu verhindern.

Es war ein Kraftakt, der den 766 Abgeordneten im Europaparlament da gelungen ist. Im März vergangenen Jahres einigten sich die Parlamentarier nach einem zweijährigen Hin und Her darauf, dass es eine neue Datenschutz-Grundverordnung geben soll. Endlich soll die Identität des Internetnutzers geheim bleiben, endlich soll das Datenschutzrecht europaweit verbindlich geregelt und vereinheitlicht werden. Dass erst Ende Juni die Verhandlungen zwischen Kommission, Parlament und Rat („Trilog-Verfahren“) begonnen haben, hat seine Gründe. Denn Internetgiganten wie Google, Ebay, Amazon, Facebook – die Liste ließe sich beliebig fortführen – mobilisierten nach dem Entschluss zur gemeinsamen Grundverordnung sofort sämtliche Lobbyisten der Branche, um die digitale Revolution aufzuhalten.

Die Plattform LobbyPlag wurde 2013 von Richard Gutjahr, Marco Maas und Sebastian Vollnhals initiiert und soll den Einfluss von Lobbyisten auf das Parlament in Brüssel transparenter machen. Das Ergebnis ihrer Untersuchungen: Seit der Veröffentlichung der Entwürfe der EU-Kommision liefen über 4000 Anträge auf Änderungen beim zuständigen Ausschuss des EU-Parlaments ein – und ein starker Datenschutz in Europa rückt dank der massiven Einflussnahme durch Lobbyisten in weite Ferne.

Nun ist es kein Geheimnis, dass täglich etwa 15 000 Interessenvertreter in Brüssel versuchen, die EU-Politik zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Was sich aber abspielte, nachdem Jan Philipp Albrecht, Berichterstatter des Innenausschusses und Grünen-Europa-Abgeordneter, der EU-Kommission die Änderungsvorschläge schließlich vorlegte, sei „ein Lobbyisten-Sturm“ gewesen. Einer, wie ihn der erklärte Datenschützer „noch nie erlebt“ hat. „Generell ist die Arbeit von Interessenvertretern legitim“, sagt Albrecht. „Bei der Datenschutz-Grundverordnung zeigt sich aber, dass bestimmte Lobbygruppen durch häufige Terminanfragen, Einladungen und Treffen über das legitime Maß hinaus sowie durch gezieltes Streuen von Falschinformationen versuchen, Einfluss auf die politische Willensbildung zu nehmen“, sagt Albrecht.

Aber warum versuchen Unternehmen so vehement, den Datenschutz 2.0 zu verhindern? Dazu sollte man wissen, dass die derzeitigen Datenschutz-Regelungen aus dem Jahr 1995 stammen. 20 Jahre sind das in Echtzeit, im superschnellen Cyber-Zeitalter kommt das einer Reise von der Steinzeit in die Neuzeit gleich. Google war damals noch nicht online, das kam erst 1998 – und läutete die wohl größte Revolution der Medienwelt seit Einführung des Fernsehens ein. Wie viel Geld sich mit Userdaten einmal verdienen lassen würde, wie lukrativ das Geschäft mit der personalisierten Werbung einmal sein wird und wie wichtig daher Datenschutz ist – das war damals noch nicht abzusehen. Dass die führenden Internetgiganten mit einer Datenschutz-Verordnung aus der Cyber-Kreidezeit äußerst zufrieden sind und kein Interesse an einer Veränderung haben, scheint daher nicht verwunderlich: Ein starker Datenschutz ist schlecht fürs Geschäft.

Grundsätzlich ist jede Form von Lobbying dann umsonst, wenn keiner der machthabenden Politiker beeinflussbar ist. Das kommt jedoch erfahrungsgemäß in der Realität kaum vor. Auch nicht in Sachen Datenschutz. Wer meint, Datenschutz sei doch per se eine gute Sache, für die man, also auch jeder Abgeordnete, doch zwangsläufig sein müsse, der irrt. Gerade konservativen und liberalen Abgeordneten schmeckt eine gesetzliche Einschränkung ihrer wirtschaftlichen Freiheiten überhaupt nicht. Totschlagargument Nummer eins: Nachteile im globalen Wettbewerb. Denn schließlich nehmen es die Amerikaner auch nicht so eng mit dem Datenschutz.

Da verwundert es also kaum, dass sie beim Versuch, die neue Datenschutz-Grundverordnung zu kippen, die ersten Ansprechpartner für Lobbyisten sind – und die zehn größten Gegner der neuen Richtlinien aus dem EU-Parlament, wie LobbyPlag dokumentiert, aus dem konservativen Lager stammen. Auf der anderen Seite sind es vor allem Sozialdemokarten und Grüne wie Jan Philipp Albrecht, die sich für mehr für mehr Datenschutz einsetzen. Wie LobbyPlag herausfand, ist es auch Albrecht, der die meisten Anträge eingebracht hat, um den Datenschutz in der Grundverordnung noch weiter zu stärken. Eine weitere Erkenntnis der Forscher: Die meisten Einwände gegen die Datenschutz-Verordnung stammen aus Deutschland. Und auch insgesamt haben laut LobbyPlag derzeit die Lobbyisten die Nase vorne.

Zum Vergleich: LobbyPlag zufolge wurden 3132 Vorschläge eingereicht, die den Datenschutz schwächen würden. Dem gegenüber stehen 943 eingereichte Vorschläge, die ihn stärken würden. Damit sieht es momentan so aus, als würde die neue Datenschutz-Verordnung darauf abzielen, bestehende Regelungen zum Datenschutz auszuhebeln und den US-Lobbys die Oberhand zu überlassen. „Es bleibt zu hoffen, dass die Minister sich nicht einseitig beeinflussen lassen, sondern die Interessen der Bürger ebenso ernst nehmen“, sagt Jan Philipp Albrecht. „Ich hoffe noch 2015 auf eine Einigung .“