Neben dem Schmerz bleiben Fragen

02.07.2015 | Stand 02.12.2020, 21:07 Uhr
Michael Wachinger aus Schrobenhausen galt als fröhlicher junger Mann. Im April 2013 kam er unter tragischen Umständen ums Leben, als ein Stahlträger ihn auf einer Augsburger Baustelle erschlug. −Foto: privat

Schrobenhausen/Augsburg (DK) Wie hat das nur passieren können? Diese Frage quält Hein und Rita Wachinger aus Schrobenhausen seit dem 22. April 2013. An jenem Frühlingstag hatte sich ihr Sohn Michael als Praktikant auf einer Großbaustelle in Augsburg aufgehalten, der junge Schrobenhausener stand direkt neben dem Bauleiter eines Spezialtiefbauunternehmens aus seiner Heimatstadt. Von einer Sekunde auf die andere geschah es: Ein tonnenschwerer Stahlträger, der gerade noch an der Greifzange eines Krans angehängt war, sauste herab und traf den 22-Jährigen am Kopf.

Er hatte keine Überlebenschance, ein schrecklicher Anblick. „Der Totengräber hat sich später geweigert, den Sarg zu öffnen, so schlimm war das“, sagt der Vater.

Aber die Eltern wollten genau wissen, was geschehen war, die ganze schreckliche Wahrheit, um das Trauma aufzuarbeiten. „Von den Behörden ist aber so gut wie gar nichts gekommen, wir sind lange im Unklaren gelassen worden“, klagen sie an. Als die Staatsanwaltschaft Augsburg Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung einleitet, hoffen Hein und Rita Wachinger endlich auf Einzelheiten. Ein Gutachten war zu dem Schluss gekommen, dass beim Herausziehen des Stahlteils aus dem Boden entweder die Knebelverbindung zwischen dem Träger und der Sicherungskette vergessen worden war oder sich durch die Vibrationen gelockert und gelöst hatte. Aber wer war der Schuldige? Eine Antwort haben die Eltern auch über zwei Jahre später nicht.

Formaljuristisch gibt es sehr wohl einen Sündenbock. Gestern endete am Amtsgericht Augsburg der Prozess wegen fahrlässiger Tötung gegen den Bauleiter, der unmittelbar neben Michael gestanden war und um ein Haar selber getroffen worden wäre. Er, der Kranführer und ein dritter Verantwortlicher hatten Strafbefehle erhalten, das Verfahren gegen zwei weitere Beteiligte war eingestellt worden. Zur Verhandlung war es gekommen, weil es Widersprüche gegen die Strafbefehle gab. Der Kranführer wurde zur Zahlung von 1200 Euro Geldstrafe verurteilt, der Bauleiter kämpfte gestern bis zuletzt für einen Freispruch. Nachdem der Staatsanwalt aber zwischendurch erklärt hatte, er werde es nicht bei einer Geldstrafe belassen und auf eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe plädieren, sollte der 53-Jährige seinen Widerspruch nicht zurückziehen, akzeptierte der Bauleiter den Strafbefehl „zur Risikominimierung“. Er verstand das aber auch als „wichtige Geste“ in Richtung der Eltern von Michael Wachinger, um ihnen die Aufarbeitung zu erleichtern. Demnach muss er nun 90 Tagessätze zu jeweils 50 Euro bezahlen.

Rechtlich ist die Akte also geschlossen. Zwei der drei Verteidiger, Günther Schalk und Florian Englert, übten jedoch Kritik an der Arbeit der Augsburger Staatsanwaltschaft. „Das ist völlig unzureichend gelaufen“, erklärte Schalk. Da werde etwa ein Sachverständiger für Hochbauangelegenheiten vorgeladen, wo es doch eindeutig um eine Tiefbauangelegenheit gehe, monierte er. Auch sonst zeigte er sich mit dem Vorgehen der Strafverfolger wenig zufrieden. „Wenn es um den Vorwurf der fahrlässigen Tötung geht, sollte das sorgfältiger und mit Tiefgang erledigt werden.“ In einem Vieraugengespräch mit dem Staatsanwalt gleich nach Prozessende dürfte er noch deutlicher gesprochen haben.

Angeklagter, Verteidiger und selbst die Eltern des Getöteten sahen die Schuld nicht beim Bauleiter, sondern eher bei der Mannschaft rund um den Kranführer, die als Subunternehmen für die Schrobenhausener Spezialfirma tätig gewesen war. Eine der mutmaßlichen Schlüsselfiguren – der Mann, der die Sicherungskette hätte anlegen müssen – sei erst gar nicht vorgeladen gewesen, weil er angeblich im Ausland untergetaucht sei, hieß es am Rande.

Versöhnliche Gesten waren in einer Verhandlungspause zu sehen, als der angeklagte Bauleiter und die Eltern von Michael Wachinger sich die Hand reichten. „Für uns alle ist das Leben nach seinem Tod nicht mehr dasselbe“, hieß es unisono. Während des vier Tage dauernden Gerichtsverfahrens waren immer wieder mal Tränen geflossen. Vater und Mutter des Getöteten hätten sich aber mehr Aufklärung von der Justiz erwartet, um das Geschehen endlich aufarbeiten zu können. „Leider sind die wesentlichen Punkte wieder offengeblieben“, erklärten sich Hein und Rita Wachinger enttäuscht vom Ausgang des Verfahrens.