München
100 Schirme und ein Tenorhorn

Im Wiesn-Fundbüro werden mitunter kuriose Dinge abgegeben doch nicht jeder freut sich bei der Abholung

02.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:24 Uhr

Skurrile Fundsachen: Der Leiter des Wiesn-Fundbüros Hubertus Busch und seine Kollegin Edeltraud Dietl zeigen ein Tenorhorn, zwei Paddel, einen Kindersitz sowie einen limitierten Wiesnkrug, an dem noch das Preisschild baumelt (120 Euro). - Foto: Stäbler

München (DK) Hunderte Handys, Jacken und Brillen, aber auch Kanupaddel und ein Tenorhorn: Im Wiesn-Fundbüro landet alles, was den rund sechs Millionen Besuchern des Oktoberfests abhanden kommt. Mitunter spielen sich dort kleine Dramen ab.

Ein sonniger Wiesn-Nachmittag unter der Woche, in den Festzelten finden sich noch reichlich freie Plätze, allein vor dem Servicezentrum hinter dem Schottenhamel stehen sich zwei Dutzend Wartende die Beine in den Bauch. Die Stimmung hier ist ungleich düsterer als anderswo auf dem Oktoberfest - einige blicken finster drein, anderen ist die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Peu à peu lässt der Ordner die Wartenden eintreten, danach geht's einige Stufen hinab in den Raum der Hoffnung. Oder profan ausgedrückt: ins Wiesn-Fundbüro.

Dort stehen an der Infotheke Toni Schalch und sein Spezl Norbert Baier aus dem Garmischer Land. Eigentlich wollten die beiden längst im Festzelt sitzen, wäre da nicht die Tochter von Toni Schalch. Die war vor drei Tagen auf der Wiesn und hat dort ihren Ausweis verloren. "Wahrscheinlich", so der Vater, "ist er im Top-Spin rausgerutscht" - eines jener herumwirbelnden Fahrgeschäfte, für die Über-Zwanzigjährige zwei Maß brauchen, um sich hineinzutrauen, und diese zwei Maß hinterher bitter bereuen. Doch das nur am Rande.

Zurück zu Toni Schalch, der den Fauxpas seiner Tochter einer Mitarbeiterin im Fundbüro schildert, worauf diese wenig später den gesuchten Ausweis hervorzieht. Sichtlich erleichtert bezahlt der Vater die Gebühr, die je nach Wert des Fundstücks anfällt - in diesem Fall sind's zehn Euro. Überdies will Toni Schalch noch einen Schein für die Kaffeekasse spendieren, doch das wehrt die Mitarbeiterin ab und zeigt auf einen Zettel mit der Überschrift "Beschenkungsverbot". "Wir sind halt doch Beamte", sagt ein Kollege und grinst.

So viel Dankbarkeit wie bei Toni Schalch erlebe man oft im Fundbüro, sagt dessen Leiter Hubertus Busch. "Viele fallen uns um den Hals, und manchmal gibt's sogar spontane Küsse." Allerdings werde man auch Zeuge anderer Emotionen: Wut, Ärger, Erleichterung, Empörung - "da ist alles dabei", sagt Busch. Erst zum vierten Mal ist er heuer auf der Wiesn, und doch könnte der Fundbüroleiter mit seinen Anekdoten ganze Abende füllen. Etwa über den Mitarbeiter eines "sehr großen Fahrgeschäfts", der vergangenes Jahr den Schlüssel hierzu verloren hatte. Nun drohte der Austausch der Schließanlage, mehrere Tausend Euro wären futsch gewesen. Doch dazu kam es nicht, weil der Schlüssel im Fundbüro auftauchte, wo der Angestellte - "ein gestandenes Mannsbild", so Busch - in Freudentränen ausbrach.

Schlüssel noch und nöcher hängen auch heuer an der Wand - 85 wurden allein in der ersten Wiesn-Woche abgegeben. Dazu kamen je 350 Kleidungsstücke und Ausweise, 120 Geldbeutel, 100 Schirme sowie 110 Handys und zig weitere Dinge, bei denen man nur den Kopf schütteln kann. Denn wie in aller Welt verliert jemand auf der Wiesn eine Mönchskutte? Oder zwei Paddel, einen Kindersitz, ein Tenorhorn und einen limitierten Wiesn-Krug, an dem noch das Preisschild baumelt, satte 120 Euro?

Gut 500 Fundstücke werden Tag für Tag angeliefert, erzählt Hubertus Busch, zumeist aus den Zelten, die ganze Kisten voll bringen. Stets am Vormittag pflegen seine Mitarbeiter alle Jacken, Brillen und Co. in ein Computerprogramm namens "Felix" ein, also "der Glückliche". Ab 13 Uhr beginnt dann der Publikumsverkehr, wobei die 28 Mitarbeiter neben Stressresistenz auch ein Händchen für Menschen mitbringen müssen. Denn nicht nur alle Arten von Gemütszustand trifft man hier unten an, sondern auch alle Grade der Betrunkenheit - und zig verschiedene Sprachen. "Zum Glück können zwei Mitarbeiter italienisch, eine sogar koreanisch", sagt Hubertus Busch. "Und notfalls verständigen wir uns halt mit Händen und Füßen."

Wer angibt, etwas verloren zu haben, der muss erst mal schildern, wo und wann der Gegenstand abhanden kam. Zudem braucht es einen Nachweis, dass er wirklich der Eigentümer ist - bei Schlüsseln etwa ein Zweitschlüssel, bei Jacken ein Foto, dass den Träger mit Selbiger zeigt, und bei Handys die Seriennummer. Etwa ein Drittel aller Fundstücke werden während der Wiesn abgeholt, sagt Hubertus Busch. Der Rest wandert danach ins städtische Fundbüro, wo die Mitarbeiter versuchen, den Eigentümer herauszufinden - beispielsweise, indem sie beim Provider des Handys anfragen oder bei Ausweisen die jeweilige Gemeinde anschreiben. Meldet sich ein halbes Jahr lang niemand, dann werden die Fundsachen versteigert oder kommen einem sozialen Zweck zugute.

So weit ist es vergangenes Jahr freilich nicht gekommen bei einem Mann, dessen Geschichte sich Hubertus Busch eingeprägt hat. "Der ist wirklich mit einem iPad, einem Laptop und 15 000 Euro in bar auf die Wiesn gekommen und hat das dann verloren", erzählt der Leiter. Ein ehrlicher Finder gab alles - auch das Geld - im Fundbüro ab. Doch als der Mann dort seine Habseligkeiten zurückbekam, habe er sich nicht etwa gefreut, erzählt Hubertus Busch. "Stattdessen hat er nur über die Gebühren gemeckert, die er bezahlen musste."