Die Kanonenkugel im Kirchturm

05.05.2015 | Stand 02.12.2020, 21:20 Uhr

Bekannter Anblick: Die Wallfahrtskirche St. Kastulus nahe der Autobahn A 9 südlich von Ingolstadt. - Foto: Greiner

Die Wallfahrtskirche St. Kastulus kennt jeder. Zumindest soweit er schon einmal auf der Autobahn von Ingolstadt nach München gefahren ist. Dort steht sie kaum übersehbar kurz hinter der Ausfahrt Langenbruck links am Hang. Was man von der Autobahn aus nicht sehen kann, ist die Kanonenkugel, die hoch oben am Turm eingemauert ist.

Die Eisenkugel erinnert an ein Gefecht zwischen französischen und österreichischen Truppen am 1. September 1796, das oft als „Schlacht am Kastlberg“ bezeichnet wird. In der englischsprachigen Kriegsgeschichtsschreibung ist vom „Combat of Langenbruck“ die Rede.

Wie man das Scharmützel auch nennt, es markiert den Tag, an dem der Krieg die Region Ingolstadt erreichte. 50 Jahre lang, seit dem österreichischen Erbfolgekrieg, war Altbayern von dieser Geisel verschont geblieben. Und auch der erbitterte Kampf zwischen dem revolutionären Frankreich und den alten Monarchien – allen voran der Großmacht Österreich – war bisher nur wie ein fernes Donnergrollen gewesen.

Doch nun, im Sommer 1796, zieht ein gewaltiges französisches Heer die Donau entlang nach Bayern, das mehr zwangsweise als freiwillig mit Österreich verbündet ist. Nachdem die französische Republik chronisch klamm ist, müssen sich die schlecht ausgerüsteten, schwer zu steuernden Revolutionsarmeen selbst versorgen, sprich: requirieren, stehlen, plündern. Außerdem sollen sie möglichst viel Geld für Paris beschaffen. Für die Menschen vor allem der ungeschützten Dörfer beginnt eine lange Notzeit, in der sie ständig um ihre Vorräte, ihr Vieh und auch um ihr Leben fürchten müssen. Und so mancher von den Idealen der französischen Revolution entflammte Bürger erlebt eine bittere Enttäuschung, als die Revolutionstruppen dann wirklich vor der Tür stehen.

Ende August 1796 hat die weit aufgefächerte, gut 60 000 Mann starke französische Armee des Generals Moreau etwa die Linie Kempten – Geisenfeld erreicht. Der Donauübergang Ingolstadt wird von 4000 Soldaten unter österreichischem Kommando verteidigt. Am 1. September rücken die französischen Truppen so nah an die Stadt heran, „dass sie zwei Kanonenschüsse in die Stadt sendeten, doch ohne schädlichen Erfolg“, wie Stadtchronist Gerstner notiert.

Während sich die Ingolstädter bang hinter ihre Festungsmauern ducken, wird weiter südlich wirklich gekämpft. Der österreichische General Latour versucht, mit einem Gegenangriff die französischen Truppen aufzuhalten, die in Geisenfeld und am Kastlberg in Stellung gegangen sind. Zunächst sieht es gut aus für Latour: Mit einer Kavallerieattacke vertreibt er die Franzosen aus Geisenfeld, rückt dann entlang der heutigen B 300 nach Langenbruck vor, das ebenfalls eingenommen wird. Auch den Hügel mit der St.-Kastulus-Kirche können die französischen Truppen nicht halten. Sie weichen in die Wälder hinter Gambach – aus heutiger Sicht jenseits der Autobahn – zurück. Doch dann wendet sich das Blatt. Ein Umgehungsversuch österreichischer Kavallerie westlich von Langenbruck bricht im heftigen Feuer zusammen. Und auch den Kastlberg erobern die Franzosen zurück, nach einem „so fürchterlichen“ Artilleriegefecht, dass sich die Bewohner des nahe gelegenen Ortes Gambach angsterfüllt in die Kirche flüchten. Der Turm von St. Kastulus wird schwer getroffen. Die Glocke stürzt herunter – und wird von den Franzosen mitgenommen, Was sie zurücklassen, sind Kanonenkugeln. Die Bauern holen sie zentnerweise aus den Äckern. Und eine davon schmückt bis heute den Turm der Wallfahrtskirche St. Kastulus.

Unter dem Eindruck der Niederlage von Langenbruck schließen Vertreter Bayerns wenige Tage später in Pfaffenhofen einen mit hohen Geldzahlungen verbundenen Waffenstillstand mit Frankreich – voreilig, wie sich rasch herausstellt. Denn der französische General Moreau muss seine Offensive kurze Zeit später abbrechen. An die Vereinbarung von Pfaffenhofen fühlt sich Bayerns Kurfürst Karl Theodor nun nicht mehr gebunden. Doch im Jahr darauf trifft überraschend ein Brief aus Mailand ein, in dem ein junger französischer General namens Napoleon Bonaparte die Zahlung der Kontributionen einfordert. Noch nimmt man in Bayern den in Italien so erfolgreichen Feldherrn nicht richtig ernst. Aber das wird sich ändern.

Nächsten Mittwoch steht ein eigenwilliges Denkmal in der Nähe Neuburgs im Mittelpunkt.