Zeugen belasten Jugendamt

22.10.2010 | Stand 03.12.2020, 3:32 Uhr

Thalmässing/Nürnberg (DK) Schwere Vorwürfe gegen das Jugendamt und die Mutter der im Alter von drei Jahren verhungerten Sarah aus Thalmässing (Landkreis Roth) haben Zeugen am Freitag im Mordprozess vor dem Nürnberger Schwurgericht erhoben.

"Ich habe regelmäßig beim Jugendamt angerufen und das nicht nur einmal", sagte eine 28-jährige Freundin und Ex-Schwägerin von Sarahs Mutter. Sie habe die Mitarbeiter darauf hingewiesen, dass es in der Wohnung aussehe "wie auf einem Schlachtfeld" und dass die Tür zu Sarahs Zimmer abgesperrt sei. Sie sollten doch bitte vorbeikommen.

"Aber gemacht haben sie nichts", erklärte die Thalmässingerin. "Sie haben gesagt, sie machen nichts ohne Beweise." Sie habe anonym angerufen, da sie "keinen Ärger" mit Sarahs Mutter Angela R. (27) wollte, die mehrfach als aggressive Persönlichkeit beschrieben wurde. Ähnlich äußerte sich ein 54-jähriger Nachbar.

Sarah war am 10. August 2009 völlig abgemagert im Nürnberger Südklinikum gestorben. Ihr Vater Patrick R. (30) sitzt wegen Mordes und Misshandlung Schutzbefohlener alleine auf der Anklagebank, da seine Frau wegen einer schweren Krebserkrankung nicht verhandlungsfähig ist.

In den Wochen und Monaten vor ihrem Tod hat kaum jemand die kleine Sarah zu Gesicht bekommen. Die Eltern scheinen sie regelrecht versteckt zu haben. Die 28-jährige Freundin, die sich fast täglich mit Angela R. traf, hatte Sarah zuletzt im April 2009 gesehen, als sie gewickelt wurde. Am 8. August 2009, an dem Tag, als Sarahs Atmung aussetzte, trafen sich die Freundinnen zum Frühstück – in der Wohnung der Familie R. Es hieß, Sarah sei bei der Schwägerin. "Ich war eine Stunde dort und habe kein Schreien und Quäken gehört", erzählte die Zeugin.

Da lag Sarah wohl schon völlig apathisch nebenan in ihrem Bettchen, dem Tode nahe. In dieser Phase, berichtete der Gerichtsmediziner Peter Betz als Sachverständiger, geben Kinder "keine Lautäußerung mehr von sich, sie vegetieren vor sich hin, werden immer schwächer". Er geht davon aus, dass sich Sarahs Martyrium Wochen, wenn nicht gar Monate hingezogen hat.

Kein sehr schmeichelhaftes Bild zeichnete der Großvater der toten Sarah von seiner Schwiegertochter Angela R. Wegen ihrer Schlampigkeit und ihres aggressiven Verhaltens sei sein Verhältnis zu ihr sehr angespannt gewesen, erklärte er vor dem Nürnberger Schwurgericht. Sein Sohn habe nicht gewagt, sich gegen seine Frau aufzulehnen, auch nicht, als sie den Kontakt der Großeltern zu Sarah unterband.

Als Sarah in die Klinik musste, seien er und seine Frau hingefahren. "Mein Sohn stand da wie ein Häufchen Elend und hat nur noch geweint." Seine Schwiegertochter hingegen habe ihn regungslos und mit kalten Blick angeschaut. Als er fragte, was mit Sarah sei, habe sie ihm entgegengeschleudert: "Die dumme Sau hat ihre eigenen Windeln gefressen." In Sarahs Darm hatte man bei der Obduktion Zellstoffreste gefunden. In ihrer Not hatte sie ihre Windeln aufgerissen und gegessen.