Wer
Arbeiten mit Anschluss

Seit Februar gibt es in München ein Existenzgründerzentrum für die digitale Branche – ein Besuch

06.06.2013 | Stand 03.12.2020, 0:03 Uhr

Wer die nahe des Münchner Ostbahnhofs gelegene Kultfabrik besucht, der tut das meist am Wochenende – am späten Abend. Dann geht dort in den zahlreichen Clubs die Post ab, die Bässe wummern, es wird getrunken und getanzt. Wenn Nikolai Ladanyi das Gelände betritt, dann lässt er die Partytempel links liegen. Sie haben ohnehin nicht geöffnet, wenn er vormittags kommt. Der 39-Jährige hat seinen Arbeitsplatz am Ende der Partymeile, direkt über der Diskothek Willenlos und dem Striptease-Laden New York Tabledance. Auf zwei Stockwerken residiert hier seit Februar das Werk 1, ein Existenzgründerzentrum speziell für digitale Unternehmen.

Ladanyi hat eine App namens PadCloud entwickelt. „Im Prinzip ist das eine Technologie, mit der Versender von Informationen wieder Hoheit über ihre Datensätze bekommen“, sagt der Tüftler und schickt zur Demonstration gleich ein PDF von seinem Laptop auf sein iPad. Der Empfänger kann die Datei nicht verändern oder speichern. „Man könnte höchstens den Bildschirm abfotografieren.“ Und der Absender kann seine Datei wieder zurückholen und etwa durch eine neue ersetzen. Nach fünf Jahren Entwicklungsarbeit ist die App nun marktreif. Mit der Telekom hat sich Ladanyi auch schon einen gewichtigen Kunden geangelt. Im Werk 1 hat er das richtige Umfeld gefunden.

Nicht alle der knapp 20 Startups, die mittlerweile ein Büro im Werk 1 gemietet haben, sind schon so weit. Manche sind noch mitten in der Entwicklung – zum Beispiel die drei jungen Gründer, die mit einer App das Einkaufen von Alltagsprodukten erleichtern wollen. Für sie ist nicht nur wichtig, dass sie im Werk 1 für eine halbwegs bezahlbare Miete einen Arbeitsplatz mit Internetanschluss haben. Für sie zählt vor allem der Kontakt zu Gleichgesinnten. Die können nicht nur Tipps geben: „Wir lassen auch mal die Kollegen von nebenan unsere App testen, um schnell ein Feedback zu bekommen“, sagt Mitgründer Hendrik Wermser.

Die Entwickler von Easyscott, einer App, die Filmteams die Informationsverwaltung erleichtern soll, sehen das ähnlich. Aber für sie ist auch die Lage des Gründerzentrums interessant. „Unsere Werkstudenten ziehen eine Schnute, wenn sie beispielsweise raus nach Unterföhring müssen. Aber für einen Arbeitsplatz über dem New York Tabledance lässt sich auch ein Zweitsemestler begeistern“, sagt Mitgründer Yannic Hieber mit einem Augenzwingern. „Wir brauchen die Nähe zur Stadt.“

Seit der Eröffnung im Februar kann sich das Werk 1 über mangelnden Zuspruch nicht beschweren. Fast alle der 27 Büroräume sind inzwischen belegt. Dass noch nicht alles voll sei, liege nicht an zu wenig Bewerbern, erklärt Betreiber Franz Glatz: Nicht jeder der möchte, darf hier auch einziehen. Schließlich wird das Werk 1 bis zum Jahr 2017 mit rund 500 000 Euro vom Bayerischen Wirtschaftsministerium gefördert.

„Wir wollen die Leute erst einmal kennenlernen“, sagt Glatz. „Wir wollen wissen, wie das Business-Modell funktionieren soll.“ Hauptkriterium: Es soll etwas neues sein. „Nicht das x-te Online-Schuhverkaufsportal“, erklärt der 47-Jährige, der in Neuburg an der Donau lebt. Damit alle von einem Austausch profitieren, achtet er auch darauf, dass die Mischung an Themen stimmt. Glatz hat seit zehn Jahren Erfahrung in der Gründerszene. Er betreibt etwa auch das b-neun in Unterföhring, das sich an junge Unternehmen aus der Medienbranche richtet. „Da kriegst du ein Gefühl für die Menschen.“

Doch digitale Tüftler müssen im Werk 1 nicht gleich ein Büro beziehen. Es gibt auch noch einen sogenannten Co-Workingspace. In dem eher schlicht-modern gestalteten Raum kann man einzelne Arbeitsplätze mieten. 19 Euro kostet ein Tagesticket – Internet und Kaffee sind inklusive. Viel wichtiger ist den meisten aber, dass sie hier die Möglichkeit haben, Kontakte zu knüpfen. Genau das können die Besucher auch im „öffentlichen“ Bereich des Gründerzentrums, der abends für Veranstaltungen und mittags für die Kaffeepause genutzt werden kann.

Diejenigen, die ein Büro gemietet haben, können ihre Räume sieben Tage rund um die Uhr betreten. Die Frage ist, ob sie das wollen. Wenn am Wochenende die Feierwütigen in die Kultfabrik einfallen und auch die Büronachbarn für einen Absacker ein Stockwerk nach unten gehen, dürfte ernsthaftes Arbeiten schwerfallen.