Rockenbrunn
Mörderisches Rätsel im fränkischen Idyll

28.07.2015 | Stand 02.12.2020, 20:58 Uhr

Foto: DK

Rockenbrunn/Nürnberg (DK) Urfränkisch steht es da im Wald unterhalb des Moritzberges, das windschiefe Gasthaus in Rockenbrunn vor den Toren der alten Reichsstadt Nürnberg. Vor dem Traum aus Fachwerk schaut ein Mann mit silberglänzendem Haarschopf besonders konzentriert drein. „Kamera läuft? Und bitte“, ruft der Mann, der mit seinen jugendlichen Zügen und der markanten Frisur ein wenig an den Whistleblower und Wikileaks-Gründer Julian Assange erinnert. In Wirklichkeit handelt es sich um Andreas Senn, den Regisseur der zweiten Franken-„Tatort“-Folge, die hier gerade gedreht wird.

Eine junge Frau rennt aus dem urigen Gasthaus, schwingt sich aufs Rad und strampelt davon. Die 23-jährige Barbara Prakopenka spielt die Tochter der Wirtsfamilie. Gerade hat sie die Mutter in der Küche erwürgt auf dem Boden entdeckt. Jetzt will sie nur noch weg – raus aus der guten Stube und Hals über Kopf davon. Dummerweise muss sie mit dem Fahrrad den schönen Moritzberg hinauf. Brausen ist da nicht drin, vielmehr ist Schneckentempo angesagt. Nach einem kurzen Antritt darf sie zum Glück umkehren. Allerdings bedarf es mehrerer Aufnahmen, bis am Ende alle mit der Szene zufrieden sind. Irgendwann hebt Senn den Daumen.

Die echte Wirtsfamilie ist freilich ausgeflogen. Die Filmleute haben sich fast eine komplette Woche in dem Wirtshaus eingenistet. In den nächsten vier Tagen wird hier „Das Recht sich zu sorgen“ gedreht, so der Titel des zweiten fränkischen Falles der Fernseh-Kultkrimiserie. Der Regisseur aus der Schweiz feiert seine Franken-„Tatort“-Premiere. Die Kommissare sind nach dem gelungenen Einstand mit zwölf Millionen Zuschauern fast schon alte „Tatort“-Hasen. Für den zweiten „Dadord“ hat sich Drehbuchautorin Beate Langmaack einen besonderen Clou einfallen lassen. Drei Fälle werden in diesem Franken-Krimi gleichzeitig erzählt. Der erste Mordfall spielt just im schönen Gasthof in Rockenbrunn. Parallel bereitet ein anderer Todesfall in der weltberühmten Anatomie der Universität in Würzburg den Ermittlern um Fabian Hinrichs alias Hauptkommissar Felix Voss einige Kopfschmerzen. Dort taucht in der Knochensammlung ein Schädel auf, der da eigentlich nicht hingehört. In Nürnberg sucht derweil eine Frau verzweifelt nach ihrem verschwundenen Sohn. „In allen Fällen geht es um das Gegenteil von Einsamkeit“, sagt Langmaack vielsagend. Zunächst haben die Ermittler freilich den Gastwirt ins Visier genommen.

Mittlerweile steht auch schon die Polizei vor dem Gasthaus. Natürlich nicht die echte, sondern Statisten mit Einsatzfahrzeug samt Blaulicht. „Wo bleibt der Leichenwagen“, ruft Regisseur Senn und streicht sich mit der Hand die Mähne aus dem Gesicht. Wie auf Kommando rollt in diesem Augenblick der silberfarbene Kombi mit den dunklen Scheiben die kleine Straße zum Gasthof hinauf. Das Rauschen der Bäume ist zu hören, das Zwitschern der Vögel – und das sanft schnurrende Motorengeräusch des noblen Leichenwagens mit dem Stern auf dem Kühlergrill. Hinter dem Mann mit der Kamera ist es mucksmäuschenstill. Männer halten lautlos Angelrouten in den Himmel, um den perfekten Ton aus der Luft zu fischen. Andreas Senn spricht eindringlich mit den Mitarbeitern hinter der Kamera. Schließlich ist die Einstellung im Kasten., der Aufbau für die nächste Szene kann beginnen.

Derweil sitzt ein Mann im weißen Overall vor dem Gasthaus und zieht lässig an einem Glimmstängel. „Das ist nicht die erste Kippe des Tages“, gibt Andreas Leopold Schadt zu. Der Schauspieler aus Hof spielt wieder den Kommissar Sebastian Fleischer. In Gedanken geht er die nächste Szene durch. „Ich mach’ gleich das Auto da auf“, sagt er und zeigt auf eine grüne „Försterkutsche“, einen Lada Niva, der vor dem Gasthaus unter Bäumen parkt. „Dann werde ich wahrscheinlich ganz viel Blut zu sehen bekommen“, sagt der Schauspieler mit der hohen Stirn und deutet lächelnd auf den Kofferraum.

Derweil gönnt sich der Regisseur eine kleine Pause vor dem wildromantischen Gasthof. „Ich finde das Set einfach nur grandios“, sagt Andreas Senn und meint damit wohl vor allem die altersschwache Wirtschaft mit den roten Biberschwänzen auf dem Dach. Er selbst komme eigentlich aus Basel, erzählt er im Vorbeigehen und berichtet von seinem 83-jährigen Vater, der noch heute fast täglich im reißenden Rhein baden gehe. Plötzlich geht Uli Putz dazwischen. Die Produzentin will wohl vermeiden, dass der Regisseur aus dem Nähkästchen zu plaudern beginnt. Schließlich sind heute die Journalisten da. „Wir drehen einen Krimi! Da darf man nicht zu viel verraten“, warnt Putz.

Inzwischen ist die Kamera für die Szene mit dem Geländewagen vorbereitet. Schadt alias Kommissar Fleischer, der Mann mit dem schönen Zungenschlag aus dem hohen Norden des Frankenlandes, geht in seinem weißen Ganzkörperschutzanzug auf den Lada zu. Er sagt nichts, schaut nur überrascht, als er die Plane anhebt, die direkt vor ihm im Kofferraum des Lada liegt. Im Hintergrund spricht Dagmar Manzel alias Polizeihauptkommissarin Paula Ringelhahn wild gestikulierend auf Matthias Egersdörfer ein, der Michael Schatz spielt, den Leiter der Spurensicherung, und mit seinem buschigen Vollbart ein bisschen an Räuber Hotzenplotz erinnert. Offensichtlich besprechen die beiden eine der nächsten Szenen, die an diesem Dienstag gedreht werden sollen. Aus der Ferne bekommt man nicht mit, um was es genau bei diesem Gespräch unter vier Augen geht. Denn die Presse wird auf Abstand gehalten, damit das Klicken der Kameras den Ton nicht ruiniert. Außerdem steht die Filmcrew unter Zeitdruck. Schon in knapp einem Monat soll der zweite Franken-„Tatort“ im Kasten sein.

Freilich heißt das nicht, dass alle immer pausenlos beschäftigt sind. „Ich soll einfach hier stehen“, sagt Jan Günther Kaczimierczak, der als Komparse mitspielen darf. „Ich bin totaler ,Tatort’-Fan“, gesteht der Fürther und würde am liebsten erzählen, warum seine kleine Rolle doch irgendwie ganz groß und wichtig ist. Doch gerade als er loslegen will, geht Dramaturgin Amelie Syberberg dazwischen. Schon klar: ein Krimi – da darf man nicht zu viel verraten. Immerhin: Fabian Hinrichs, der Hauptkommissar Felix Voss, darf erzählen, dass er sich in Franken pudelwohl fühlt. „Ich bin angekommen in Nürnberg“, sagt er. Und Dagmar Manzel verrät, dass sie „Passt schon“ mittlerweile in ihren persönlichen Wortschatz aufgenommen habe. „Bassd scho!“ gilt in Franken als das höchste Lob. Wenn das nichts ist.