Nürnberg
Reichsbürger-Prozess: Plötzliche Schüsse durch die geschlossene Tür

Am zweiten Verhandlungstag schildern mehrere Polizisten den Einsatz

30.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:34 Uhr
Blieb demonstrativ sitzen , als die Richterin den Saal betrat: der Angeklagte Wolfgang P. −Foto: Belzer

Nürnberg (DK) Tag zwei im Mordprozess gegen den mutmaßlichen „Reichsbürger“ Wolfgang P.: Gehört wurden die am Einsatz in Georgensgmünd (Kreis Roth) beteiligten Kollegen des erschossenen 32-jährigen Beamten.

Natürlich stand er nicht auf. Wolfgang P., 49 Jahre alt, der „Reichsbürger“-Bewegung zugehörig, war der einzige im großen Sitzungssaal 600 des Oberlandesgerichts Nürnberg-Fürth, der keine Mine verzog und sich auch keinen Millimeter von seinem Stuhl bewegte, als die Vorsitzende Richterin Barbara Richter-Zeiniger den Raum betrat. Offenkundiger kann man seine Verachtung für das System nicht ausdrücken – zumindest dann nicht, wenn man in Handschellen und Fußfesseln wegen Mordes auf einer Anklagebank sitzt.

Aber um Wolfgang P. ging es gestern nur am Rande. Seine Sicht der Dinge auf den Polizeieinsatz in seinem Haus stand bereits zum Auftakt der Verhandlung am Dienstag im Mittelpunkt. Nun waren die Polizisten an der Reihe, die dabei waren, als ihr Kollege von einer Kugel tödlich verletzt wurde – abgefeuert von Wolfgang P. Dessen Verteidiger Susanne Koller und Michael Haizmann hatten vor dem Beginn der Verhandlung die Argumentation in die Richtung gelenkt, dass ihr Mandant von dem Einsatz auf dem von ihm selbst als „Regierungsbezirk Wolfgang“ titulierten Grundstück im Schlaf überrascht worden sei. Er habe sich bedroht gefühlt und sei deshalb in Panik geraten – fast so, als sei der Mann, der 30 Pistolen bei sich hortete, der stundenlang über Verschwörungstheorien recherchierte und der eine Fantasie-Flagge über seinem Haus gehisst hatte, das eigentliche Opfer dieser Aktion.

Wie nun die Beamten des Spezialeinsatzkommandos – sichtlich bewegt und teilweise um Fassung ringend – im Zeugenstand berichteten, waren Martinshorn und Blaulicht zwar nur kurz, aber gut zu hören und zu sehen, als das Haus um 6 Uhr morgens bei Dunkelheit von drei Seiten über den Keller, die Terrasse und die Eingangstür von etwa 25 Beamten gestürmt wurde. Mehrfach riefen sie laut „Achtung Polizei“, um sich zu erkennen zu geben. Das eine Team, das durchs Treppenhaus hoch zur verschlossenen Wohnungstür des mutmaßlichen „Reichsbürgers“ lief, geriet laut Anklageschrift direkt in den Hinterhalt des 49-Jährigen. Gerade wollte der später tödlich verwundete 32-jährige SEK-Beamte die Tür mit einem Werkzeug öffnen, als plötzlich die ersten Schüsse fielen. „Bum bum bum. Das war eine richtige Serie“, berichtete ein Beamter. Er habe gesehen, wie sein Kollege im „Dampf und Splitterregen“ von einer Kugel getroffen nach hinten getaumelt sei. „Dann hat auch mich etwas getroffen. Da habe ich sofort das Feuer erwidert.“ Er selbst schoss zehn Mal, Wolfgang P. elfmal. „Dass durch die geschlossene Tür gefeuert wird, damit habe ich nicht gerechnet“, sagte er. „Das war in dem Moment überraschend und eine absolute Ausnahmesituation.“

Schließlich kam Wolfgang P., nach einer „kurzen Chaosphase“ mit kurzer Hose oder Unterhose bekleidet – genau konnten sich die Beamten nicht erinnern – und mit weißer Schutzweste aus der Wohnung und ergab sich. Ein anderer SEK-Beamte half dem schwer verletzten 32-Jährigen die Treppe hinunter. Draußen dann brach er zusammen. In der darauffolgenden Nacht starb der junge Polizist.