Regensburg
Workaholic mit sozialer Ader

Der SPD-Politiker Joachim Wolbergs ist seit einem Jahr Oberbürgermeister von Regensburg

22.05.2015 | Stand 02.12.2020, 21:16 Uhr

Für die Menschen nimmt er sich immer noch am liebsten Zeit: Oberbürgermeister Joachim Wolbergs bei der Verleihung eines Jugend-Musikpreises. - Foto: Jädicke

Regensburg (DK) Über den Machtchancen der bayerischen Sozialdemokratie herrschte lange tiefe Depression. Wenige haben es geschafft Oberbürgermeister zu werden. Joachim Wolbergs gelang es vor einem Jahr in Regensburg.

Er nimmt einen letzten tiefen Zug an der Zigarette, bevor er wieder in seinen Dienstwagen steigt. Zwischen Flüchtlingspolitik und Kreativwirtschaft, der Preisverleihung für weibliche Führungskräfte, Jahnstadion und Ausschusssitzung, dem Kampf um bezahlten Wohnraum und Seniorengeburtstag bleibt meist nur die Zeit im Auto – und die Länge einer Zigarette.

Er will zeigen, dass er es kann. Die Medien frotzeln über diese „Omnipräsens“. Die Opposition spottet über den „Oberbegrüßungsschmusebürgermeister“. Er selber erklärt diese Allgegenwart lieber mit seiner Neugier: „Ich werde ja oft belächelt, dass ich als OB noch immer zu den runden Geburtstagen der Senioren gehe“, sagt er. „Aber wo sonst, als bei den Menschen, bekommen sie so viel von deren Lebenswirklichkeit mit? Ich bin noch immer auf alles neugierig.“ Landespolitik, das wäre nichts für den eingefleischten Kommunalpolitiker. „Die große Politik schlägt ja auch bei uns auf“, sagt er. „Aber hier wird sie eben praktisch.“

Seit einem Jahr ist der Sozialdemokrat im Amt des Oberbürgermeisters der Stadt Regensburg. Sechs Jahre war er Sozialbürgermeister. Danach zieht er in einen Wahlkampf, in dem keiner dem anderen etwas schenkt. Am Ende steht eine bunte Koalition, die sich erst einmal finden muss.

Auf der Oppositionsbank sitzt jetzt die CSU, die ein halbes Menschengedenken in der Donaustadt regierte. Bis heute tut sie sich schwer in der neuen Rolle. „Das ist keine Opposition“, sagt Wolbergs. „Das ist einfach nur destruktiv.“ Wolbergs gerade gewonnene Macht ist gut gefüttert. 180 Millionen Euro Rücklagen in der Stadt geben ihm jede Menge Gestaltungsfreiheit, die er nutzt.

Der Genosse ist ein Workaholic. Keiner, der in ein Hamsterrad einsteigt, aber einer, der dicht dran sein will an den Menschen. So hat er seinen Wahlkampf geführt. Und so hat er sein erstes Amtsjahr ausgefüllt. Ein Bürgermeister zum Anfassen. Dennoch: Seine Arbeit als OB ist mehr durchgetaktet als er dachte. Nach zwölf Monaten im Amt wirkt er müde, häufig auch angespannt. „Ich gebe zu, in meinem ersten Amtsjahr als Oberbürgermeister habe ich auch meine Mitarbeiter überfordert. Alle Nase lang ein neues Thema.“ Das sei die Kehrseite der Nähe. „Man will überall etwas bewegen und schnell reagieren“, sagt er, und dass er seinen Arbeitsrhythmus erst noch finden muss.

Von den Sozialdemokraten im Bund war er zu Wahlkampfzeiten etwas abgerückt. Gerhard Schröders neoliberale Schlenker sind inzwischen verziehen. „Grundsätzlich bin ich auf Schröders Linie“, sagt Wolbergs, nur nicht im Detail. Das Prinzip „Fördern und Fordern“ bejaht er. Die Hartz IV-Sätze aber seien zu niedrig. „Ich will jeden Tag einen Beitrag dazu leisten, dass das Leben von Menschen besser wird – und das vor einem Wertehintergrund von Frieden halten, gleichen Bildungschancen für alle und Solidarität. Das habe ich zu Hause gelernt“, sagt er. „Und das finde ich so nur bei den Sozialdemokraten.“

Er steigt in seinen Dienstwagen. Die bevorstehende Informationsveranstaltung könnte heikel werden. Eben noch hat er mit einem lokalen Händler für Bürobedarf Schulmaterial an Flüchtlingskinder verschenkt. Jetzt muss er städtischen Mitarbeitern erklären, warum ein stadteigenes Altenheim geschlossen wird. Er stelle wirtschaftliche Interessen vor die Nöte alter Menschen, lautet der Vorwurf. Den ehemaligen Sozialbürgermeister ärgert das.

Zwischen politischen Grabenkriegen und Wahlkampflyrik will er seine Prinzipien in Politik fassen – „sozialdemokratische Prinzipien“, wie er meint. „Ohne Überzeugungen wird Politik beliebig“, sagt er irgendwo zwischen Ausschusssitzung und Altem Rathaus. Eine davon ist: „Menschen, die in Vollzeit arbeiten, müssen von ihrer Arbeit leben können. Aus diesem Grund hat er in der städtischen Verwaltung befristete Verträge in Festanstellungen umgewandelt. Angestellte und Busfahrer aus schlechten Haustarifen in den Tarif des öffentlichen Dienstes zurückgeholt. Und auch die Reinigungskräfte haben eine bessere Lohngruppe erhalten. Schauspielanfänger am Stadttheater bekommen fortan statt 1600 Euro 1900 Euro. Zumindest dieses Stück Sozialdemokratie scheint ihm in seinem ersten Amtsjahr gelungen.