Regensburg
"Wir werden weiter Leben retten"

Helfer der Sea-Eye erzählen in Regensburg von ihren Einsätzen im Mittelmeer

27.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:09 Uhr

Schnell raus aus dem Wasser: Bei einer Übung in Regensburg simulieren die Helfer von Sea-Eye eine Rettungsaktion. - Foto: Jädicke

Regensburg (DK) Nichts scheint so schnell vergessen, wie das Elend der anderen. Die Helfer von Sea-Eye e.V. aber können Bilder von hilflos im Meer treibenden Flüchtlingen vor den Küsten Afrikas einfach nicht aus ihren Köpfen streichen. Immer steht ein Menschenleben dahinter. In Regensburg trafen sich die Seenotretter am Wochenende zu einer Rettungsübung mit der Wasserwacht und zur Jahresbilanz.

Am letzten Einsatztag des Jahres kann die Crew der Seefuchs vor der libyschen Küste noch einmal 76 Menschen retten. Darunter 13 Frauen, 17 Kinder und eine schwangere Frau im achten Monat. Sie konnten sicher an die italienische Küstenwache übergeben werden. 13 284 Menschen haben die Helfer von Sea-Eye und Seefuchs seit Beginn ihrer Missionen im April 2016 vor dem Ertrinken im Mittelmeer bewahrt. Und manches Schicksal lässt die Retter auch nach dem Einsatz nicht ruhen - wie das des jungen Togolesen Kamal Masahu. Beim Jahrestreffen in Regensburg berichtet der Allgemeinarzt Achim Stein aus Wuppertal von der Rettung.

"Es ist eine dramatische Geschichte", sagt er, "aber eine mit Happy End": Zwei Tage dauerte der Einsatz bereits. Kaum Schlaf und die meisten großen Schiffe waren bereits voll. Da kam die Nachricht, man müsse einen Jungen an Board nehmen. Halb bewusstlos, unterkühlt und nur mit einer Turnhose bekleidet, ohne Eltern, Gesundheitszustand instabil, traumatisiert. Es war ein Moment, den Stein nie mehr vergessen wird. "Damals stierte Kamal nur in die Luft", erzählt er. Das habe ihn und seinen Sohn, der ebenfalls als Arzt mit an Board war, tief berührt. Der Junge redete kaum. Er macht nur ein paar spärliche Aussagen über den Tod der Eltern und zwei Geschwister, vier und acht Jahre alt, in Ghana, von wo er geflohen war. Nachprüfen lassen sich die Informationen kaum. Stein hinterließ seine Mobilfunknummer und den Kontakt für Deutschland. Auch die italienischen Behörden ließ er wissen: Er werde für den 15-Jährigen sorgen, sollte er es irgendwie nach Deutschland schaffen.

Kamal schaffte es. Im Oktober traf er in Wuppertal ein. Heute lernt er Deutsch und geht zur Schule. Hin und wieder berichtet er bruchstückhaft von seiner Flucht aus der Kakaoplantage in Ghana über Niger und durch die Wüste. Über das halbe Jahr im libyschen Lager verliert er kein Wort. Aber er malt. "Aus diesen Bildern können wir einiges ablesen", sagt Stein. Es sind solche Erlebnisse, die viele Sea-Eye Mitarbeiter ermutigen, auch in Zukunft weiterzumachen.

Auch gegen alle Schwierigkeiten, die 2017 nicht nur auf die Lebensretter von Sea-Eye einprasselten. Einer nach dem anderen lobt die Zusammenarbeit mit den italienischen Behörden vor Ort. Es bleibt aber kein Zweifel daran, dass die Anschuldigungen des italienischen Staatsanwalts Carmelo Zuccaro aus Catania, den NGOs (Nichtregierungsorganisationen) nachhaltig geschadet haben. Er behauptete, die NGOs würden mit Schleppern zusammenarbeiten. Wochenlang waren sie in eine Diskussion verstrickt, mussten sich vor Ausschüssen rechtfertigen und einen "Fakten-Check" über ihre Tätigkeit vorlegen. Viele sprechen von "systematischer Kriminalisierung". Die NGOs wehren sich mit Protestaktionen wie "Shame on you, Europe!".

Am Ende aber unterschreibt auch die Sea-Eye den Verhaltenskodex für Hilfsorganisationen. "Wir halten uns an Gesetze und unsere einzige Aufgabe sehen wir darin, Menschen aus Seenot zu retten", betont Ursula Putz in ihrer Jahresbilanz auf dem Donauschiff Gloria. "Rettungswesten verteilen, medizinische Erstversorgung leisten und Hilfe holen." Beide Schiffe fahren immerhin noch. Andere haben ihre Mission abgebrochen. Beweise für seine Anschuldigungen konnte Zuccaro nicht vorlegen. Auswirkungen auf die Arbeit von Sea-Eye hatten sie dennoch. Das Spendenaufkommen sei zurückgegangen, berichtet Putz. Das beeinträchtigt die Arbeit erheblich.

Die Schiffe überwintern auf der Insel Gozo und werden dort für die Einsätze im Frühjahr instand gesetzt. Das kostet neben viel Zeit der ehrenamtlichen Helfer auch viel Geld. Die Initiative ist inzwischen auf mehr als 1000 Helfer aus ganz Deutschland angewachsen. Und der Wille, das Elend der anderen nicht zu vergessen, sei ungebrochen, bestätigt Sea-Eye-Gründer Michael Buschheuer. "Wir werden 2018 weiter Leben retten."