Regensburg
Medizinische Detektivarbeit

Heute ist "Tag der seltenen Erkrankungen" Spezialisierte Zentren suchen nach konkreten Diagnosen

27.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:35 Uhr

Eine Patientin wird untersucht: Mit dem Auflichtmikroskop kann Mark Berneburg, ärztlicher Leiter des Regensburger Zentrums für seltene Erkrankungen, pigmentierte Hautveränderungen feststellen. - Foto: Jädicke

Regensburg (DK) Sie irren durch das Gesundheitssystem auf der Suche nach der richtigen Diagnose und der passenden Behandlung. Menschen mit ungewöhnlichen Krankheiten haben es häufig besonders schwer. Aber es gibt Hilfe - etwa am Zentrum für seltene Erkrankungen in Regensburg.

Es war eine Tragödie für die ganze Familie. Der Vater stirbt im Alter von 43 Jahren an Schilddrüsenkrebs. Die Schwester leidet an Kehlkopfkrebs und stirbt ebenfalls früh. Und jetzt sie. Die junge Frau, deren Namen wir aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht nennen, kann es kaum fassen. Sie ist gerade einmal 24 Jahre alt. Diagnose Brustkrebs.

Der Schock sitzt tief, als sie sich bei Prof. Bernhard Weber in der humangenetischen Sprechstunde am Klinikum Regensburg vorstellt. Aber noch mehr drängte sie die Frage: Warum so viele in meiner Familie - und warum so früh?

Weber arbeitet eng mit dem Zentrum für seltene Erkrankungen (ZSER) am Regensburger Universitätsklinikum zusammen und hat darauf eine Antwort. "Nun ist Brustkrebs keine seltene Erkrankung", sagt er. Wohl aber das "Li-Fraumeni-Syndrom". Es handele sich um eine seltene familiäre Tumordisposition, erklärt er. Eine genetische Veränderung eines sehr wichtigen Gens, des "TP53-Gens". Was die Krankheit so gefährlich macht, ist ihre Unberechenbarkeit. "Tatsächlich kann sie jede Art von Tumor hervorrufen", sagt Weber.

Und das in einem meist sehr jungen Alter. Der Gen-Defekt kann für die Leukämie eines Fünfjährigen ebenso verantwortlich sein wie für den Hirntumor eines 40-Jährigen. Bösartige Erkrankungen des Darms, der Bauchspeicheldrüse, von Leber, Eierstöcken oder der Haut: Sie alle können auf diesen einen Defekt zurückgehen. Die junge Frau hatte also den richtigen Impuls, ins ZSER zu kommen.

In Deutschland gibt es mittlerweile 45 solcher Zentren für seltene Krankheiten, die teilweise miteinander kooperieren, wie das Regensburger ZSER seit vergangener Woche mit dem Würzburger Institut ZESE. Am ZSER in Regensburg arbeiten 19 Kliniken und Institute mit 30 Spezialistengruppen für die seltenen Krankheiten. Ein sogenannter Lotse sorgt für eine erste Einschätzung und gibt anschließend die Daten an das ZSER weiter. In den angeschlossenen Kliniken wird dann mit viel Zeit und Aufwand nach der entsprechenden Diagnose gefahndet. "Man kann es wirklich als Detektivarbeit bezeichnen", sagt der ärztliche Leiter des ZSER, Mark Berneburg.

Normale Kontrolluntersuchungen hätten im Fall der jungen Patienten keineswegs zu einem Ergebnis geführt. Menschen, die am "Li-Fraumeni-Syndrom" erkrankt sind, benötigen in kurzen Abständen sehr umfangreiche Ganzkörperuntersuchungen, die auch Untersuchungen des Nervensystems und der Haut einbeziehen.

Diagnosen von seltenen Krankheiten sind aufwendig und kostspielig. Viele Kliniken und Ärzte können das im Alltag nicht leisten. So beginnt oft eine nervenzehrende Odyssee von Arzt zu Arzt. Auch das Abrechnungssystem nach Fallpauschalen macht es den betroffenen Patienten schwer, die notwendigen Untersuchungen zu bekommen. Bleibt eine genetisch bedingte Krankheit unerkannt, kann sie ganze Familien betreffen. Denn die Genmutation wird vererbt. Mal von einem Elternteil, mal von beiden. Das Risiko tragen die Kinder.

Das "Li-Fraumeni-Syndrom", "Mondscheinkinder" oder "Retinitis pigmentosa" sind nur drei von 8000 seltenen Krankheiten, um die sich Zentren wie das ZSER in Regensburg kümmern. 4500 Gene kennt man. Die restlichen 3500 seien unbekannt, sagt Professor Weber.

Selten ist eine Krankheit, wenn maximal fünf von 10 000 Menschen an ihr leiden. 30 Prozent der betroffenen Patienten warten mehr als fünf Jahre auf eine konkrete Diagnose. 40 Prozent werden zunächst falsch diagnostiziert. Die größere Gruppe der Patienten - etwa 80 Prozent - erfährt erst im erwachsenen Alter, woran sie eigentlich leidet. Oft zu spät. "Wenn wir früh diagnostizieren, können wir den Lebensweg des Patienten positiv gestalten", sagt Weber. Im Fall der jungen Frau hat die Diagnose einer weiteren Person geholfen und zwei weitere von lähmender Angst befreit, ebenfalls zu erkranken.