Peinlich
Bayerns Geschenk an "alle Teutschen"

30.06.2015 | Stand 02.12.2020, 21:07 Uhr

Royaler Fanartikel: König Max I. erwarb Napoleons Pistolen nach dessen Sturz. - Foto: Haus der Bayerischen Geschichte

Peinlich waren Ludwig I. seine Schwärmereien selten; zumindest nicht, wenn der bayerische König gefühlvoll, aber irrlichternd die Damenwelt durchstreifte. Doch in einer Abensberger Frühlingsnacht des Jahres 1809 übermannte ihn als 22-jährigen Kronprinzen keine liebeshungrige Schönheit, sondern der ihm ein Leben lang verhasste „Corse“, dessen Bestreben immer nur darauf abziele, so Ludwig, „die allerheiligsten Rechte aller mit Füßen“ zu treten: Napoleon.

Vor der Schlacht, die die Bayern und Franzosen in Abensberg gegen die Österreicher austrugen, peitschte der Kaiser die Soldaten mit einer flammenden Rede an, die Ludwig ins Deutsche übersetzte. So mitgerissen war er, dass er selbst euphorisch in die „Vive l’empereur!“-Rufe der Menge einstimmte. Eine Erinnerung, die ihn noch Jahrzehnte später schmerzte.

Denn er trug sich schon als Thronfolger, der das Bündnis seines Vaters Max Joseph mit Napoleon missbilligte, mit dem Gedanken, den gedemütigten „Teutschen“ und dem Andenken der Befreiungskriege Denkmäler zu errichten – entstanden sind etwa die Walhalla und die Befreiungshalle. Während der Bau für die Walhalla aber 1831 startete und viele Büsten schon ihres Bestimmungsorts harrten, entschloss sich Ludwig erst 1836, das Bauwerk zum Gedenken an die Befreiungskriege gegen Napoleon in Angriff zu nehmen. Als geeigneten Ort fassten er und der beauftragte Architekt Friedrich von Gärtner bald den Michelsberg bei Kelheim ins Auge, der wegen seiner malerischen Lage und dem reichen historischen Erbe der Stadt überzeugte. Dass am Fuß des Bergs der neu gebaute Ludwig-Donau-Main-Kanal in die Donau mündete und die nahen Steinbrüche Jakob Ihrlers, der alle Bauprojekte Ludwigs versorgte, Material liefern konnten, dürfte ein Übriges getan haben. Weniger freilich die Nähe des nur 15 Kilometer entfernten Abensberg, das Ludwig noch an der Seite Napoleons sah.

Gleichwohl. Die Kelheimer Bürgerschaft überschlug sich in Ergebenheitsadressen, erhoffte sie sich doch für ihre stets darbende Stadt mehr Einnahmen und Arbeitsplätze: Schon 1807 hatte der Gedanke an Kelheim den Aufklärer Joseph von Hazzi aus Abensberg zum Schreckensruf „alles todt!“ hingerissen. Die Bewohner des Michelsbergs, die ihre Existenz von Schafen und Ziegen bestritten, die sie auf „lauter Felsen und wertlosem Staude“ hüteten, ließen sich gern königlich abfinden und ein Heer von Bauarbeitern bevölkerte seit der Grundsteinlegung 1842 die Stadt. Zwei Jahre dauerten allein die 15 Meter tiefen Fundamentierungen auf dem porösen Untergrund, mehrmals drohte alles zu scheitern: 1846 klagte der Landtag über Ludwigs Geld fressende, „überflüssige Halle“, 1847 starb der Architekt Gärtner, 1848 zwang die Revolution Ludwig vom Thron. Der neue König Max II. mochte die Halle nicht und der alte verhängte einen Baustopp. Kelheim sah sich ruiniert – und grotesk gekrönt von einer weithin sichtbaren Bauruine über der Stadt.

Doch die Zeitläufte meinten es einmal gut. Ludwig finanzierte das Projekt aus seiner Privatkasse weiter, da der neue Architekt Leo von Klenze die Kosten zu halbieren versprach – wenn er die Pläne seines Vorgängers ändern durfte, von denen er nur den schon vorhandenen 18-eckigen Sockel beibehielt, der schon stand und an die Völkerschlacht von Leipzig am 18. Oktober 1813 erinnerte. An deren Jahrestag 1863 wurde die Halle vor 15 000 Besuchern im Beisein des ergriffenen Ludwig und einiger napoleonischer Veteranen wie dem Essinger Josef Deifel eröffnet. Allerdings brachte sie weniger Touristen als erhofft, da statt Kelheim erst einmal nur Abensberg einen Eisenbahnanschluss erhielt. So wandelte sich die Stadt, die mit ihren beeindruckenden Naturschönheiten wie dem Donaudurchbruch und der Halle als „Wallfahrtstempel der deutschen Nation“ warb, zum Industriestandort. Direkt gegenüber des „Tempels“ siedelten sich ein Zellstoffwerk und eine Kalkbrennerei an, die nicht nur Abwässer in die Donau leiteten und Gestank verbreiteten, sondern sich auch in die Wälder und Felsen des Donaudurchbruchs vorfraßen. Auch die antifranzösische Bedeutung der Halle unterschlägt man seit der deutsch-französischen Aussöhnung geflissentlich. Ihres nationalen Pathos’ entkleidet, thront die Befreiungshalle deswegen nun im Idiom einiger Einheimischer als „Kartoffeldämpfer“ auf dem Michelsberg. Und wie eh und je – „teutsche“ Erbfeindschaft hin oder her – verrichtet der seine Pflicht für die örtliche Gastronomie, ist die Stadt doch seit ihrer weitgehenden Deindustrialisierung vor der Jahrtausendwende wieder das, was sie 1863 war: ein pittoresker Platz, der um Ausflügler buhlt.

 

Die Autorin dieses Artikels, Eva Heindl, stammt aus Kelheim. Derzeit ist sie Lehrerin für Geschichte am Reuchlin-Gymnasium Ingolstadt.

 

Am nächsten Mittwoch fragen wir in Frankreich nach, wie man dort heute über Napoleon denkt.