Oberstimm
Aus der Versenkung geholt

Wie ein übereifriger Baggerführer bei Oberstimm auf zwei Römerschiffe stieß und die Fachwelt in Erstaunen versetzte

21.05.2013 | Stand 03.12.2020, 0:07 Uhr

 

Oberstimm (DK) Die Archäologie gilt als ernst zu nehmende Wissenschaft, keine Frage. Eine, die voller Überraschungen steckt. Sie verschafft uns Einblicke in die eigene Vergangenheit, wie der Blick in einen Zeittunnel. Wie sind wir zu dem geworden, was wir heute sind? Wer hat vor uns auf der Scholle gelebt, die wir jetzt besiedeln? Manchmal ist es ganz einfach, Relikte der Altvorderen zu entdecken, aus der Luft etwa, wenn Bewuchs und Schattenwurf selbst nach Jahrtausenden noch von menschlichem Wirken zeugen.

Mitunter ist es aber schlicht Glück und Zufall zu verdanken. In diese Kategorie fällt der Fund zweier Römerschiffe mitten im Binnenland bei Manching-Oberstimm im Kreis Pfaffenhofen.

Nun ist der Raum um Manching bekanntermaßen schon in frühester Zeit bewohnt gewesen. Hier befand sich einst eine der größten Keltenstädte Europas. Ihre Blüte erlebte sie im 2. Jahrhundert vor Christus. Dem Niedergang der Kelten folgte der Vorstoß der Römer, die ihr Reich im ersten Jahrhundert nach Christus am südlichen Donauufer zu den Germanen hin absicherten. Ein Nebenarm des Flusses reichte in dieser Zeit bis zum heutigen Oberstimm. „Damals ist dort ein Kastell entstanden“, sagt Karl Heinz Rieder, der von 1981 bis 1999 als Oberkonservator beim Landesamt für Denkmalpflege mit der Suche nach Bodendenkmälern betraut war. „Oberstimm ist vor 30 Jahren ein regelrechter Brennpunkt für Notbergungen gewesen, weil dort viel gebaut worden ist.“ Die Archäologen mussten also fix sein, bevor Unwiederbringliches für immer verloren ging.

Um die vollen Ausmaße des bereits bekannten Kastells zu erforschen, rückten die Wissenschaftler 1986 mit einem Bagger an und ließen den Mann an den Schalthebeln nach und nach die oberen Bodenschichten abtragen. „Er sollte innerhalb des abgesteckten Areals so weit nach unten gehen, bis der erste Kies auftauchte“, erzählt Rieder. Während die Fachleute sich anderen Aufgaben zuwandten, legte der Baggerführer los. Irgendetwas muss er wohl falsch verstanden haben, denn als die Denkmalschützer zurückkehrten, befand der Mann sich außerhalb des früheren Kastells und hatte sich relativ weit eingegraben. „Wir sind natürlich erschrocken. Danach haben wir erst gesehen, dass im Aushub Holz dabei war – Teile der Römerschiffe. Im Schnitt des Grabens war die Rumpfform gut zu sehen“, berichtet Rieder.

Der Schreck wich großer Freude angesichts des als sensationell eingestuften Fundes. „Der gute Erhaltungszustand ist einmalig in Deutschland“, sagt Rieder. Die Bauzeit wurde um das Jahr 100 datiert. Die Militärschiffe waren wohl unbrauchbar geworden, die Römer hatten sie versenkt. Später hatten sie das Ufer aufgefüllt, was zur Konservierung des Holzes führte. Die Planken aus Kiefernholz sind weitgehend erhalten, ebenso Kiel und Spanten. Selbst zwei Sitzbretter, in der Seemannssprache Duchten genannt, sind noch zu erkennen. Jedes der 18-Meter-Schiffe konnte 20 Ruderer aufnehmen, ein Segel sorgte dafür, dass die Fortbewegung nicht allzu Kräfte raubend war. Die Schiffe waren als Patrouillenboote, aber auch in Gefechten zu Wasser eingesetzt.

Der spektakuläre Fund war das eine, seine Bergung das andere. „Wir haben das Loch erst mal wieder zugemacht, um die Relikte weiter zu konservieren. Hätten wir sie herausgeholt, wäre eine sofortige Restaurierung nötig gewesen, und daran war damals nicht zu denken“, erinnert sich der Oberkonservator. Die Öffentlichkeit durfte zunächst nichts erfahren, um Plünderer fern zu halten.

Die Bergung und Instandsetzung erfolgte erst viele Jahre später ab 1994, bevor die Schiffe in den Werkstätten des Römisch-Germanischen-Zentralmuseums in Mainz bis 2005 hergerichtet wurden. Derweil war ein Streit um sie entbrannt, denn die Ingolstädter wollten die Relikte „kassieren“ – laut Vereinbarung mit dem Landesamt finanzierte die Stadt das Grabungsbüro in der Schanz und sollte als Gegenleistung alle Funde erhalten.

Ingolstadt hatte die Rechnung aber ohne die Manchinger gemacht. Sie holten sich die wertvollen Stücke und machten sie zur Grundlage für ihr neues Kelten- und Römermuseum. „Ohne die beiden Schiffe wäre die Realisierung wohl nie so rasch erfolgt“, glaubt Rieder. Noch heute ist die Schneise in einem Bootskörper zu sehen, die von dem Bagger stammt.