Nürnberg
"Ein schöner Endpunkt"

Zurückgegebenes NS-Raubgut kann in Nürnberger Staatsarchiv bleiben

19.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:55 Uhr

Nürnberg (DK) Der Freistaat Bayern hat den Nachkommen der jüdischen Familie Süßheim gestern 44 Manuskripte, Kartenwerke und Akten feierlich zurückerstattet. Die wertvolle Sammlung war der Familie in der Zeit der NS-Diktatur entzogen worden.

Am Ende kennt diese Geschichte nur strahlende Gesichter. Der Freistaat gibt NS-Raubgut an die Erben zurück. Die amerikanischen Nachkommen der jüdischen Familie Süßheim sind "happy", endlich Licht in das Dunkel der eigenen Vergangenheit bringen zu können. Die Stadt Nürnberg ist glücklich, dass sich die Erben wiederum dazu entschlossen haben, die 44 restituierten Bücher zur Geschichte der alten Reichsstadt dem Stadtarchiv als Dauerleihgabe zu überlassen.

"Durch diese großzügige Entscheidung werden nicht nur alle bislang bekannten Teile der Sammlung an einem Ort zusammengeführt, sondern bleiben auch in Zukunft für die Stadtgeschichtsforschung zugänglich", betonte Julia Lehner, Kulturreferentin der Stadt Nürnberg, bei der feierlichen Rückgabe der "Süßheim-Sammlung". Lehner hat 2004 die Forschungsstelle "Lost-Art" zur Provenienzermittlung von entzogenem Kulturgut in Nürnberg ins Leben gerufen. Seitdem forscht Dominik Radlmaier über NS-Raubkunst in den Beständen der Stadt. Die Geschichte der "Sammlung Süßheim" hat den 47-jährigen Kunsthistoriker seitdem nicht mehr losgelassen, wie er selbst sagt. "Das ist heute ein schöner Endpunkt einer langen Geschichte", meint Radlmaier, der den Stoff rund um die Familie mit einem "Jahrhundertroman" vergleicht.

Max Süßheim, der Bruder des Münchner Orientalisten Karl Süßheim, hatte die wertvolle "Norica-Sammlung" bis zu seinem Tod 1933 zusammengetragen. Als Markenzeichen zieren ein Bienenstock und das lateinische Wort "Exlibris" die Werke seiner Kollektion. Darunter befinden sich einzigartige Chroniken der Frankenmetropole. Besonders bemerkenswert findet der Leiter des Staatsarchivs Nürnberg, Peter Fleischmann, dass ein "Bürger jüdischen Glaubens diese einzigartige Sammlung von Chroniken über seine Heimatstadt" zusammengetragen habe. "So etwas ist von keinem anderen Nürnberger bekannt. Das zeigt die große Verbundenheit eines jüdischen Mitbürgers mit seiner Heimatstadt", erklärt Fleischmann.

Max Süßheim ist in ganz Bayern kein Unbekannter. Zunächst engagierte sich der Jurist für die SPD im Stadtrat seiner Heimatstadt. Später saß er als letzter jüdischer Abgeordnete im bayerischen Landtag. Noch vor der NS-Machtergreifung im Jahr 1933 verstarb Max Süßheim. Einen Tag nach der Pogromnacht nahm sich seine Witwe, Hedwig Süßheim, das Leben. Die Bücherkollektion mit den wertvollen Originalbeständen zur Geschichte der alten Reichsstadt wanderte nach München. In der Landeshauptstadt lebte Karl Süßheim, der Bruder des Sammlers. Bevor der bekannte Orientalist im Jahr 1941 nach Istanbul emigrieren konnte, musste er die berühmte Sammlung seines Bruders unter Wert verkaufen. 41 Werke gelangten in das Staatsarchiv nach Nürnberg, drei weitere in die Bayerische Staatsbibliothek. Karl starb am Bosporus. Seine Familie wanderte in den 50er-Jahren nach Amerika aus. Durch die Entscheidung der Erben, die Sammlung der Stadt Nürnberg als Dauerleihgabe "für immer" zu vermachen, ist die "Süßheim-Sammlung" nun wieder unter einem Dach in Nürnberg vereint.

Ein "richtiges Abenteuer" gehe heute für die Nachkommen zu Ende, sagte Lisa D'Angelo bei der feierlichen Rückgabe des NS-Raubguts an ihre Familie. "Wir waren beeindruckt von unserer Geschichte. Meine Mutter hat nie etwas erzählt von ihrem Vater Karl Süßheim", berichtete die Nachfahrin der jüdischen Familie Süßheim, die mit ihrer Schwester Cynthia und Tochter Annelise extra aus Chicago ins Staatsarchiv nach Nürnberg zur Restitution der "Süßheim-Sammlung" gekommen war. Man habe im fernen Amerika erst an einen Scherz geglaubt, als der Brief aus Nürnberg bei den Nachkommen eingetroffen sei. Die Mutter habe nie erzählt, dass der Vater ein Jude gewesen sei. "Erst mit 13 Jahren habe ich das bei einem Besuch seines Grabes auf einem jüdischen Friedhof in Istanbul erfahren", erinnert sich Lisa D'Angelo, die katholisch erzogen worden ist, an die verschlungene und lange Zeit verschüttete Familiengeschichte zurück. "Es freut mich, dass die Kollektion unseres Vorfahren jetzt ins Stadtarchiv nach Nürnberg kommt. Außerdem freuen wir uns, dass wir jetzt auf einmal eine deutsche Geschichte haben", erklärte die Erbin teilweise auf Deutsch und verwies darauf, dass die ganze Familie sich mittlerweile im Deutschland-Fieber befinde. Sogar der alten Muttersprache wolle sich die Familie wieder zuwenden.