Bayern verklagt Volkswagen wegen Folgen des Diesel-Skandals

02.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:28 Uhr

Nürnberg (dpa) Der Abgasskandal bei Volkswagen erreicht eine neue Dimension. Verglichen mit den milliardenteuren Kosten für den Dieselbetrug geht es bei der anstehenden Schadenersatzklage Bayerns gegen den Autobauer zwar um wenig Geld - aber politisch wiegt das Signal schwer: Mit der Klage gegen Volkswagen rüttelt das CSU-geführte Bayern nämlich am alten Frontverlauf zwischen den Parteien. Die Gemengelage ist delikat, der Ärger programmiert. Im Kern geht es um maximal 700.000 Euro, um die der bayerische Pensionsfonds geschädigt worden sein soll.

Der Finanzminister des Freistaates, Markus Söder (CSU), hält die Klage für unausweichlich. Das gibt politischen Gegnern wie den Grünen neue Munition, die dem Söder-Parteikollegen und Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt Untätigkeit in der Diesel-Krise ankreiden. Auch für die Koalition aus Union und SPD in Berlin ist der Querschläger aus dem Süden heikel.

Die SPD regiert nämlich in Niedersachsen und sitzt quasi mit im VW-Aufsichtsrat. Das kann, sagen Kritiker, zu Interessenskonflikten führen. Wirtschaftsminister und Vize-Kanzler Sigmar Gabriel, selbst früher Regierungschef in Hannover, sitzt für einen von VW geprägten Wahlkreis im Bundestag. Das Land sieht schon seit Monaten keinen Grund für eine Klage gegen VW, das für das Land viel mehr ist als ein Dividendenbringer. Jeder fünfte Job des Weltkonzerns entfällt auf Niedersachsen. Und selbst für Bayern ist der Vorstoß nicht ohne, denn mit Audi hat eine der Säulen im VW-Konzern seine Heimat im Freistaat.

Ohnehin bietet Söders Vorstoß Anlass zur Kritik in der Opposition. „Dreist, dreister, CSU“, meint der Grünen-Fraktionsvize im Bundestag, Oliver Krischer. Er zielt dabei auf das Verhältnis zwischen Söder und Dobrindt: Während Millionen VW-Fahrer in Europa seit zehn Monaten vergeblich auf Hilfe des CSU-Bundesverkehrsministers hofften, eine angemessene Entschädigung wie Kunden in den USA zu bekommen, versuche Bayerns CSU-Finanzminister seine Schäfchen ins Trockene zu bekommen.

Krischer wettert: „Statt Schadensersatzklagen für Bayern erwarten wir, dass die Regierungspartei CSU in Berlin endlich ihre Arbeit macht und die Interessen von Umwelt, Klima und Verbrauchern schützt.“ Der Abgas-Skandal sei nur möglich gewesen, da Dobrindt und dessen Vorgänger Peter Ramsauer - ebenfalls CSU - „jahrelang weggeschaut haben, wie VW und die übrige Autoindustrie bei den Abgasen betrügt und schummelt“. Krischer seziert die Klage aus Bayern genüsslich: „Konsequent und obendrein auch noch unterhaltsam wäre es, wenn Söder Dobrindt wegen dessen Nichtstun und Kumpanei mit der Autoindustrie verklagt.“

Sowieso hat die von Söder angekündigte Klage mindestens zwei Seiten für den Freistaat, der laut Ministerpräsident Horst Seehofer zwar reich, aber nicht bescheuert ist. Denn Bayern ist mehr als BMW-Land: Alleine im Audi-Werk in Ingolstadt sind mehr als 43.000 Mitarbeiter beschäftigt - die VW-Tochter für Oberklassewagen ist der mit Abstand größte Arbeitgeber in der Region. Die Audi-Familien dürften, genau wie die von Audi abhängigen Zulieferer, nicht gerade erfreut sein über die Klagefreude ihrer CSU-geführten Staatsregierung.

Söder dagegen sieht juristisch Offensichtliches: „Wir sind da auch rechtlich in der Verpflichtung für unsere Beschäftigten. Es geht um Rechtsansprüche, die nun von uns geltend zu machen sind.“ Das Land hat für seine Beamten eine Fürsorgepflicht, und die endet nicht bei der Pension. Wobei: Rein finanziell geht es um eher wenig. Maximal 700.000 Euro will Bayern vor Gericht geltend machen - das sind Peanuts in einem Fonds für die Altersversorgung der Beamten, der insgesamt milliardenschwer ist.

Daher macht nicht nur in München und Berlin nach Bekanntwerden der Nachricht eine andere Interpretation die Runde: politisches Kalkül. Denn mit der Klage zeige der eifrig an seiner Karriere arbeitende Söder Freunden wie Kritikern: Ich kämpfe für bayerische Interessen.

Fest steht dagegen, dass Söder mit der Klage bereits jetzt seinen Parteifreund Dobrindt im Amt des Bundesverkehrsministers schlecht dastehen lässt. Für die politische Abgas-Front in Berlin sind das neue Vorzeichen. Denn bisher war es dort trotz des globalen Wirbels um VW und trotz des jüngst gestarteten Untersuchungsausschusses vor allem eines: erstaunlich ruhig.