Nach
Die ganz große Harmonie

15.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:04 Uhr

Nürnberg (DK) Nach monatelangen Machtkämpfen und Querelen herrscht
auf dem CSU-Parteitag in Nürnberg der Weihnachtsfrieden.
Kanzlerin Angela Merkel lächelt mit Horst Seehofer um die Wette.
Die Unionsparteien wissen: Nur geschlossen sind sie stark.

Nach zwei Jahren zurück in der Höhle der Löwen: Um 17 Uhr schreitet Kanzlerin Angela Merkel geradezu beschwingt auf die Bühne. "Ob Sie es glauben oder nicht, ich freue mich richtig, heute wieder bei Ihnen auf einem CSU-Parteitag zu sein", sagt sie gutgelaunt und bricht sofort das Eis. Bei ihrer Ankunft ertönen ganz vereinzelte Pfiffe, dann viel freundlicher Applaus für den Ehrengast in der Nürnberger Frankenhalle, und am Ende sogar Standing Ovations für die Kanzlerin.

Charmeoffensive von CDU-Chefin Merkel auf dem Parteitag der Schwesterpartei, und CSU-Chef Horst Seehofer ist erleichtert. "Auch wenn Du es mir nicht glaubst, ich freue mich, dass Du da bist", ergreift er die ausgestreckte Hand. "Wir sind geschlossen wie schon lange nicht mehr, das ist ein ganz großer Wert", sagt er und strahlt von der Bühne.

Plötzlich Weihnachtsfrieden, Schulterschluss von CDU und CSU? "Die letzten Jahre waren für uns alle nicht einfach", blickt die Kanzlerin zu Beginn ihrer Rede zurück auf den bitteren Flüchtlingsstreit. Es sei gut gewesen, "dass wir miteinander gerungen haben", CDU und CSU würden nach dem Kompromiss zur Migration wieder gemeinsam dafür sorgen, die Zuwanderung zu ordnen und zu steuern. Froh sei sie darüber, denn: "Stark sind CDU und CSU besonders immer dann, wenn sie einig sind."

Endlich wieder an einem Strang ziehen, kein Blatt passt scheinbar mehr zwischen CDU und CSU, zwischen Merkel und Seehofer. Das zumindest soll das Signal sein. Zwei Jahre ist es jetzt her, dass der CSU-Chef die Kanzlerin auf der Parteitagsbühne abgekanzelt und gedemütigt hatte. Eine 13-minütige Standpauke über die Flüchtlingspolitik hielt er ihr damals, während die Kanzlerin daneben stand und mühsam um Fassung rang. Vergangenes Jahr musste Merkel dem CSU-Parteitag fernbleiben, um nicht von der wütenden Basis ausgebuht zu werden.

Und jetzt? Kuschelig ist es geworden in der Höhle der Löwen. Es werde auch in Zukunft immer mal wieder Reibereien geben, sagt die Kanzlerin, aber das könne auch gut sein. "Die Zeit der Schwächung haben wir hinter uns, jetzt kommt die Zeit der Bereicherung." Ein gelöstes Lächeln zeigt Merkel, als ihr der Parteitag Beifall zollt. Keine neue Standpauke von Seehofer, stattdessen ein Dankeschön und sogar ein Blumenstrauß.

Hält die neue "Normalität" im Verhältnis der Schwesterparteien, von der in Nürnberg allenthalben die Rede ist? Ist Merkels Auftritt mehr als pure Inszenierung? Sollte bei den Verhandlungen mit der SPD über eine neue Regierung die Unions-Vereinbarung zur Begrenzung der Zuwanderung aufgeweicht, Obergrenze und Stopp für den Familiennachzug nicht durchgesetzt werden, dann könnte es rasch wieder zum Zerwürfnis führen. "Schon bei den Jamaika-Gesprächen hat sich gezeigt, dass wir uns auf die Kanzlerin verlassen können", erklärt CSU-Vize Manfred Weber.

Nicht nur mit der Kanzlerin wurde gestern der Weihnachtsfrieden zelebriert. Auch den Machtkampf zwischen Seehofer und Markus Söder will die CSU in Nürnberg endgültig ad acta legen. Demonstrativer Handschlag der beiden zum Auftakt des Parteitages, perfekte Choreografie vor den Kameraobjektiven, es folgt ein grinsender Plausch in der ersten Reihe - zum ersten Mal sitzen sie nebeneinander. "Wir sollten die Vergangenheit jetzt einfach mal ruhen lassen", sagt Seehofer. Erst vor zwei Wochen hatte er unter massivem Druck eingelenkt, sich bereit erklärt, den Posten des Ministerpräsidenten an Söder abzugeben. Als bei der Begrüßung der beiden gestern der Beifall für Söder kräftiger ausfällt, Jubelrufe zu hören sind, verzieht Seehofer keine Miene, klebt stocksteif auf seinem Platz. Söder erhebt sich mit Gönnermiene, lässt sich feiern. Das jüngere Alphatier genießt den Augenblick, der alte Löwe muss es ertragen.

Am heutigen Samstag soll der Burgfrieden besiegelt werden: Seehofer wird als Parteichef wiedergewählt, Söder zum Kandidaten für den Posten des Ministerpräsidenten auf den Schild gehoben. "Horst Seehofer und ich sind eine Verantwortungsgemeinschaft, und jeder weiß, um was es geht", will auch Söder den Streit der Vergangenheit abhaken.

"Die klare Botschaft von diesem Parteitag: Geschlossenheit plus Entschlossenheit heißt Erfolg", hatte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer die 800 Delegierten schon zu Beginn des Parteitags auf Linie getrimmt und die Landtagswahl im kommenden Herbst ins Visier genommen. Denn das steckt hinter dem ganzen Verbrüderungszeremoniell: Wird weiter gestritten, dann wird es nichts mit der Verteidigung der absoluten Mehrheit der CSU in Bayern, dann drohen bei der Wahl der böse Absturz und ein dauerhafter Schaden für die Partei.

So groß ist das neue Harmoniebedürfnis, dass ein Mini-Machtkampf gestern abgesagt wurde. In letzter Sekunde zog Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt seine Kandidatur für einen der fünf Vize-Posten zurück. Sonst wäre es heute zur Kampfkandidatur gekommen. "Die vergangenen Monate waren für uns als CSU eine schwierige Zeit. Daher gilt für uns alle, ein Signal der Geschlossenheit vom Parteitag zu senden", erklärte Schmidt seinen Schritt und gab den Parteisoldaten - und machte zugleich klar, dass er in einer neuen Regierung im Bund gerne Landwirtschaftsminister bleiben würde.