München
''Für die SPD ist noch alles drin''

16.08.2013 | Stand 02.12.2020, 23:46 Uhr

München (DK) Der Endspurt hat begonnen: In einem Monat wählen die Bayern einen neuen Landtag. Schon vor zwei Jahren sagte der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude Ministerpräsident Horst Seehofer den Kampf an. Er erklärte seine Kandidatur als SPD-Spitzenkandidat und will die bald 60 Jahre währende Regentschaft der CSU im Freistaat brechen. In Umfragen sieht es derzeit nicht danach aus, die SPD lag zuletzt bei 18 Prozentpunkten. Aber Ude gibt sich optimistisch.

Die SPD-Zentrale am Münchner Oberanger: Christian Ude hat die Ärmel seines weißen Trachtenhemdes hochgekrempelt. Über seinem Schreibtisch hängt ein Porträt von Wilhelm Hoegner, dem bisher einzigen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten. Er nimmt auf einem der dunklen Ledersessel Platz. Im Interview mit unserem Redakteur Til Huber spricht er über die Chancen eines Regierungswechsels. Und er erklärt, warum er mit 65 Jahren noch einmal nach der Macht im Freistaat greifen möchte.

 

Herr Ude, Sie waren 19 Jahre lang Münchner Oberbürgermeister, haben ein Ferienhaus auf Mykonos, eine nette Ehefrau, mit der Sie Ihren Ruhestand genießen könnten. Warum tun Sie sich die SPD-Spitzenkandidatur noch an?

Christian Ude: Das hört sich ja so an, als wäre es eine Zumutung – mir macht es aber großen Spaß. Ich bin in den sechziger Jahren in die SPD eingetreten, weil mich die rückständige Schulpolitik der CSU aufgeregt hat. Die damalige Zensur von Schülerzeitungen, das autoritäre und ungerechte Schulsystem, die Entmündigung der Schüler, der Stress beim Übertritt von der Grundschule aufs Gymnasium. Später, als Rechtsanwalt für Mieter, musste ich erfahren, dass die CSU jeden wirksamen Schutz von Mietern verhindert. Jetzt hat sich plötzlich die Chance aufgetan, Reformen anzupacken.

 

Ihre Frau sagt in einem SPD-Wahlwerbespot: „Jetzt wählts 'n halt, damit a Ruah is.“ Was meint sie damit?

Ude: Das ist eine Anspielung an die erste und einzige geglückte Revolution in Bayern 1918. Ein bayerischer Arbeiterführer sagte damals etwas entnervt von den politischen Debatten: „Nacha mach’ ma halt a Revolution, damit a Ruah is!“ Darin spiegelt sich die ganze Ambivalenz der bayerischen Bevölkerung: Sie möchte schon Veränderung, aber sie möchte auch ihre Ruhe.

 

Sie erkennen Ihre Situation darin wieder?

Ude: In gewisser Weise schon. Ein Regierungswechsel heißt ja nicht, dass hier irgendwas riskiert würde. Im Gegenteil: Die Wirtschaft läuft in München unter meiner Führung besser, als in anderen Landesteilen. Durch einen Regierungswechsel würde manches besser werden, aber nichts schlechter.

 

Die Wirtschaft brummt, es gibt kaum Arbeitslosigkeit – warum sollte man Sie da wählen?

Ude: Natürlich geht es Bayern wirtschaftlich gut, aber es gibt auch Probleme. Es gibt zum Beispiel Menschen, die zwar Vollzeit arbeiten, aber nicht genug verdienen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Menschen, die beim Jobcenter aufstocken müssen. Deshalb brauchen wir einen gesetzlichen Mindestlohn. Für die Mieter ist sowieso klar: Die CSU verweigert seit einem Vierteljahrhundert, Mietsteigerungen gesetzlich zu bremsen. Und die Eltern in Bayern sind verzweifelt über den Murks am Gymnasium.

 

In Vergleichen schneiden bayerische Schüler aber sehr gut ab. So schlecht kann die Schulpolitik nicht sein.

Ude: Es gibt einen einzigen Punkt, in dem das bayerische Gymnasium gut da steht: Das ist das Abschneiden der leistungsfähigen Schüler. Diese Qualität wird auch beibehalten. Gleichzeitig ergeben Studien der OECD und der Bertelsmann Stiftung, dass es in keinem Bildungsland so schlecht um die Bildungsgerechtigkeit bestellt ist, wie in Bayern. In keinem Land hängen die Chancen der Kinder so stark vom Geldbeutel der Eltern ab.

 

Die Regierung wirft Ihnen vor, Sie betrieben Gleichmacherei mit Ihrem Konzept der Gemeinschaftsschule, in der Haupt- und Realschüler länger gemeinsam lernen sollen.

Ude: Wir wollen die Gemeinschaftsschule dort anbieten, wo die Bürger das wollen. Im ländlichen Raum ist das ein Beitrag, um Schulsterben zu verhindern und den Familien wohnortnahe Angebote zu machen. Auf dem Land sind derzeit hundert rechtlich nicht mehr selbstständige Schulen zum Sterben freigegeben. Das ist für hundert Kommunen eine Katastrophe. Wir sind aber auch für mehr Ganztagsangebote. Der Freistaat gehört da zu den Schlusslichtern in Deutschland.

 

Zur Finanzpolitik: Der Staatshaushalt ist nicht nur ausgeglichen, sondern es werden sogar Schulden zurückgezahlt. . .

Ude: Es ist für mich eine unbegreifliche Tatsache, wie viele Journalisten das nachplappern. Die Regierung Seehofer hat so viele neue Schulden gemacht, wie keine Regierung zuvor.

 

Sie meinen die zehn Milliarden Euro für die Rettung der Landesbank.

Ude: Ja, das kann man doch nicht weglassen. Die Staatsregierung hinterlässt neun Milliarden Euro Schulden mehr, als sie zu Amtsantritt übernommen hat. Da ist nicht dran zu deuteln. Aber ich gebe gerne zu, dass die Hauptschuld dafür bei der Regierung Stoiber und ihren größenwahnsinnigen Landesbankgeschäften liegt – und das war ja auch die CSU.

 

Ein Thema, das die Bürger beschäftigt, ist der Fall des langjährig unfreiwilligen Psychiatriepatienten Gustl Mollath. Die SPD-Abgeordnete Inge Aures hält ihn auch für einen „Fall Seehofer“. Ist er das?

Ude: Der Fall Mollath ist in allererster Linie ein Justizfall. Justizorgane haben schlampig, fehlerhaft und vorurteilsgeladen agiert. Die Staatsregierung ist aber sehr wohl involviert, weil Justizministerin Beate Merk Gustl Mollath lange als gemeingefährlich abgekanzelt hat. Sie ist zwar nicht die Urheberin des Falles, aber sie hat sich denkbar unglücklich verhalten. Und der Ministerpräsident hat sie sehr lange gewähren lassen.

 

Hätte Seehofer sie deshalb entlassen sollen?

Ude: Das wäre von der Sache her gerechtfertigt. Es gibt Äußerungen von ihr, die heute selbst allen CSU-Abgeordneten die Schamesröte ins Gesicht treiben. Der Zeitpunkt ist aber jetzt, so kurz vor der Wahl, denkbar spät. Deshalb ist die Kernfrage: Was ist in Bayern möglich? Und nicht: Darf Beate Merk noch vier Wochen Ministerin bleiben? Danach ist es für sie im Justizressort sowieso zu Ende.

 

Sie haben ein neues Unterbringungsrecht gefordert.

Ude: Das brauchen wir auch. Bayern hat eines der rückständigsten Unterbringungsrechte. Wir brauchen vor und während einer Unterbringung mehr Prüfungsinstanzen. Ich will noch in diesem Jahr ein großes Hearing mit Experten, um die bundesweiten Erfahrungen zu sammeln und dann ein Gesetz machen, das auf der Höhe der Zeit ist. Dann könnte es einen Fall Mollath nicht mehr geben.

 

Der Wahlkampf dümpelt noch vor sich hin. Auch weil Horst Seehofer so tut, als gebe es Sie nicht. Ärgert Sie das?

Ude: Ich habe drei Wahlkämpfe mit Amtsbonus geführt. Ich weiß, welche Vorzüge das mit sich bringt. Man ignoriert den Herausforderer und nutzt das Amt. Ich kann ihm das im Ernst nicht vorwerfen. Kontroversen gibt es aber bei einer Reihe von Themen: Kita-Ausbau statt Betreuungsgeld, Gemeinschaftsschule statt Schulsterben, Wahlrecht zwischen G8 und G9 statt Turbogymnasium – und das sind nur einige.

 

Haben Sie sich eigentlich seit Ihren aufsehenerregenden Treffen vor zwei Jahren mal wieder länger mit FW-Chef Hubert Aiwanger, Ihrem potenziellen Partner, unterhalten?

Ude: Ja selbstverständlich. Unser Verhältnis ist von sehr großem Verständnis und Respekt geprägt. Wir haben viele Gemeinsamkeiten – unter anderem verheerende Erfahrungen mit der CSU und ihrem Machtmissbrauch. Wir haben beide sehr starke kommunale Prägungen und wollen die Kommunen stärken. In achtzig Prozent aller Abstimmungen im Landtag stimmen SPD, Grüne und Freie Wähler überein. Und wir haben schon gemeinsame Erfolge vorzuweisen: der Protest gegen Atomkraft oder das Volksbegehren gegen Studiengebühren.

 

Die Bürger glauben noch nicht an das mögliche Dreierbündnis aus SPD, Freien Wählern und Grünen. Ihnen mangelt es an einer glaubhaften Machtperspektive. Wäre es nicht besser, Aiwanger würde eine klare Koalitionsaussage zu Ihren Gunsten machen?

Ude: Man kann nicht über eine andere Partei und ihren Kurs verfügen. Die Freien Wähler haben entschieden, die Koalition einzugehen, bei der sie ihre Anliegen am besten durchsetzen können. Ich bin mir sicher, dass sie lieber mit uns zusammengehen, als nach der Bayernpartei und der FDP die Dritten zu sein, denen bei der Umarmung durch die CSU die Luft ausgeht.

 

Selbst wenn es theoretisch möglich wäre – im Moment wäre ein Dreierbündnis weit von einer Mehrheit entfernt.

Ude: Es ist noch alles drin. Immerhin 40 Prozent der Wähler sind noch unentschlossen! Ein unglaubliches Potenzial für Überraschungen. Bei der letzten Wahl hieß es auch, die CSU kriegt die absolute Mehrheit. Aber alle Prognosen waren falsch. Der Wahlausgang war für die CSU eine Nacht des Entsetzens. Die Wahl wird am 15. September entschieden und keinen Tag vorher.