München
Zwischen Tatendrang und Ohnmacht

Bayerisches Kabinett will in der Flüchtlingsfrage Druck auf die Kanzlerin erhöhen – Konkret wird Horst Seehofer aber nicht

09.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:42 Uhr

München (AFP) Die bayerische Staatskanzlei ist am Freitag voll mit Journalisten: Es haben mehr Fernsehteams ihre Kameras aufgebaut als beim Rücktritt von Edmund Stoiber. Der heutige Hausherr Horst Seehofer – bayerischer Regierungs- und CSU-Parteichef – hat enormes Interesse geweckt mit seinen Dauerangriffen der vergangenen Tage auf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Doch am Ende seiner mit Getöse vorbereiteten Kabinettssitzung bleiben nur ein paar hohl klingende Drohungen – und Geld für ein Programm namens „Flüchtlinge werden Freunde“.

Gut vier Stunden berät Seehofer in der Staatskanzlei mit seiner Ministerrunde in einer Sondersitzung, deretwegen der bayerische Ministerpräsident sogar seine Teilnahme an der Ministerpräsidentenkonferenz in Bremen abgesagt hat. „Maßnahmen der Notwehr“ wollte Seehofer auf den Weg bringen. „Notwehr“ – ein gezielt gewählter Begriff: Die Bayern werden in der Seehofer-Lesart durch die liberale Flüchtlingspolitik der Kanzlerin „angegriffen und sind nun im Recht, sich zu wehren“, wie zu hören war.

Doch die von Seehofer vorgestellten Maßnahmen klingen hilflos. Mit einem Gang vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe droht der CSU-Chef Merkel. Bayern verklagt die Bundesregierung, zu der die CSU selbst gehört – eine delikate Vorstellung. Doch als Seehofer nach den Details der Klage gefragt wird, wird er plötzlich wachsweich. Nein, einen genauen Zeitplan gebe es nicht. Nein, er könne auch nicht sagen, was konkret passieren müsse, damit Bayern klagt. „Wenn alles andere nicht funktioniert, wird der Freistaat vor das Bundesverfassungsgericht ziehen“, so Seehofer.

Nicht weniger schwach klingt nach den Tagen der scharfen Worte auf einmal auch die Drohung Bayerns, selbst an der Grenze zu Österreich tätig zu werden, wenn der Bund dort nicht etwas gegen die anhaltend zahlreichen Flüchtlinge unternehme. Bayern werde dann eigene Maßnahmen ergreifen, droht Seehofer erneut. Doch welche das seien, wolle er jetzt aus strategischen Gründen nicht verraten. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nennt konkret nur eine Maßnahme: Flüchtlinge könnten direkt nach dem Grenzübertritt verhaftet werden, dann würden sie womöglich freiwillig wieder zurückgehen.

In Berlin dürfte sich die Anspannung nach diesem Auftritt Seehofers lösen. Der Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung, Kanzleramtsminister Peter Altmaier, reagierte ruhig. Die Bundesregierung habe überhaupt keinen Anlass sich deswegen Gedanken zu machen, sagte der CDU-Politiker am Freitagabend. „Denn wir sind überzeugt, dass wir auf dem Boden des Grundgesetzes handeln.“ Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) bezeichnete die angedrohte Klage als „heiße Luft“. Und auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) reagierte betont gelassen auf die angedrohte Klage. Er sprach in Erfurt von einer „bayerischen Art und Weise, Dinge vorzutragen“ und lobte die Inhalte der CSU. Denn das Kabinett traf Beschlüsse, die de Maizière als Zeichen der hohen Übereinstimmung zwischen Bayern und dem Bund wertete.

In den Beschlüssen enthalten sind nämlich auch enorme Aufwendungen für Flüchtlinge, wie sie bisher kein zweites Bundesland gestemmt hat. Zusätzlich zu den erhöhten Leistungen vom Bund investiert Bayern im kommenden Jahr eine halbe Milliarde Euro aus dem Landeshaushalt. Insgesamt 1700 Lehrer stellt der Freistaat neu ein. Außerdem werden 28 000 staatlich geförderte Wohnungen gebaut. Und das Programm „Flüchtlinge werden Freunde“ vom Bayerischen Jugendring soll auch viel Geld bekommen.