München
Verzweifelte Suche nach Unterkünften

Wegen des Flüchtlingsstroms kommt es bereits zu Mietkündigungen und Zwangsbeschlagnahmungen – nicht aber in Bayern

06.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:43 Uhr

München (DK) In Bayern können derzeit mühsam noch die letzten freien Immobilien in öffentlichem Besitz mit Flüchtlingen belegt werden. In den Stadtstaaten Hamburg, Berlin und Bremen werden inzwischen schon leer stehende private Wohnungen beschlagnahmt, um Asylbewerber einzuquartieren.

München (DK) In Bayern können derzeit mühsam noch die letzten freien Immobilien in öffentlichem Besitz mit Flüchtlingen belegt werden. In Hamburg, Berlin und Bremen werden inzwischen schon leer stehende private Wohnungen beschlagnahmt, um Asylbewerber einzuquartieren. Die bayerischen Politiker sehen das aber kritisch und warnen vor den Folgen.

Im nordrhein-westfälischen Nieheim wirft die Stadt sogar eine 51-jährige Mieterin aus ihrer kommunalen Wohnung. Für eine einzelne Person, so die Begründung der Stadt, sei die Immobilie viel zu groß. Künftig sollen dort mehrere junge männliche Asylbewerber untergebracht werden. Bettina Halbey wohnte fast 16 Jahre in ihrer der Stadt gehörenden Wohnung im rund 6200 Einwohner zählenden Ort Nieheim. Sie arbeitet als Krankenschwester. Beide Söhne sind erwachsen und ausgezogen. Die alleinstehende Halbey blieb trotzdem in ihrem vergleichsweise günstigen Zuhause wohnen. Nieheims Bürgermeister Rainer Vidal Garcia aber findet, dass die Frau dort nicht länger wohnen könne: 90 Quadratmeter zu diesem Preis für eine einzelne Person, das ginge nicht angesichts des Bedarfs mehrerer anderer Personen.

Zum 31. Mai nächsten Jahres setzt der Bürgermeister die Frau auf die Straße. Schließlich kommen derzeit viele junge Asylbewerber in die Stadt und wollen eine eigene Wohnung – in Bettina Halbeys Wohnung könnten bis zu sechs von ihnen einziehen.

Die Stadtverwaltungen von Hamburg, Berlin und Bremen planen in ihrer Unterbringungsnot derweil im großen Stil den Zugriff aufs Privateigentum der Bürger – auch gegen den Willen der Eigentümer. Staatliche Räume sind komplett überfüllt. Im Eilverfahren wird gerade in den Regionalparlamenten der Stadtstaaten die Rechtslage geändert. „Wir werden das Gesetz bereits im Oktober verabschieden und zunächst bis Frühjahr 2017 befristen“, erklärt Hamburgs Justizsenator Till Steffen (Grüne).

Seine Berliner Parteifreunde schaffen Fakten, indem sie die Flüchtlinge sofort in leer stehende Wohnungen einquartieren. Der Eigner verweist zwar auf anstehende Sanierungsarbeiten vor dem Weiterverkauf. Doch das will die grün geführte Bezirksverwaltung von Kreuzberg-Friedrichshain nicht gelten lassen. Immerhin haben die Flüchtlinge richtig schönen Wohnraum zur Verfügung: Die besagten Häuser im Gründerzeitstil gelten als eine der begehrtesten und luxuriösesten Wohnimmobilien in der Bundeshauptstadt.

In Bayern ist derlei noch nicht vorgekommen. Johann Keller, der Geschäftsführer des Bayerischen Landkreistags, weist aber vorsorglich schon mal darauf hin, dass nach Artikel 7 des Bayerischen Landesstraf- und Verordnungsgesetzes die grundsätzliche Möglichkeit der Beschlagnahme besteht. „Aber das ist nur gerechtfertigt, wenn ganz konkrete Gefahren für Leib und Leben von Menschen drohen.“ Zuvor müssten alle zur Verfügung stehenden öffentlichen Gebäude ausgeschöpft sein. Im Falle von München etwa hieße das, die Menschen zunächst in Messehallen, in der Olympiahalle, aber auch in Tiefgaragen unterzubringen. Dann bestünde auch noch die Möglichkeit für Traglufthallen und Häuser in Modulbauweise. „Doch durch Maßnahmen wie in den genannten anderen Bundesländern werden die Menschen verunsichert“, warnt Keller. „Das ist nicht im Sinne eines friedlichen Zusammenlebens zwischen Einheimischen und Flüchtlingen.“

„Das bayerische Innenministerium lehnt die Beschlagnahme von Wohnungen oder Zwangseinweisung rundherum ab“, so Michael Siefener, der Sprecher von Ressortchef Joachim Herrmann (CSU).

Beatrix Zurek, die Landesvorsitzende des bayerischen Mieterbunds, hält das Vorgehen der Behörden in Nieheim für „rechtlich fragwürdig“. Eigenbedarf, so Zurek, könne nur von Personen geltend gemacht werden, nicht aber von einer Kommune. Besonders schlimm sei, dass man der betroffenen Frau in Nordrhein-Westfalen nicht einmal eine andere Wohnung zur Verfügung stelle, sondern ihr die Suche nach einer neuen Unterkunft selbst überlasse.

Aus Sicht von Ulrike Kirchhoff, Vorstand von Haus & Grund Bayern, wäre „nur in einer entsprechenden Notsituation eine solche Maßnahme vorstellbar. Doch Zwangsmaßnahmen sind sicher nicht der richtige Weg, um das Problem einer angemessenen Unterbringung von Flüchtlingen zu lösen.“ Wünschen würde man sich beim Verband stattdessen, dass Kommunen mit Eigentümern leer stehender Privatwohnungen Mietverträge abschließen, um Flüchtlinge unterzubringen, so Ulrike Kirchhoff. Denkbar wäre aus ihrer Sicht auch der Ankauf von sogenannten Belegungsrechten durch die Kommunalverwaltungen.

Empört reagiert Hubert Aiwanger, der Bundes-, Landes- und Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler. „Das fügt sich nahtlos ein in den Rechtsbruch, den Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingsproblematik bereits begangen hat, indem sie eigenmächtig Rechtsvorschriften der Europäischen Union außer Kraft gesetzt und zehntausende Menschen unter Missachtung der Asylvorschriften in die Bundesrepublik geholt hat. Der Fisch stinkt immer vom Kopf her, und wenn sich die oberste Politikerin des Landes nicht an die Gesetze hält, dann braucht man sich bei einem Bürgermeister nicht wundern“, schimpft Aiwanger.