München
Verfassungsfeier ohne Volk

Seehofer und Stamm mahnen zur Verteidigung konstitutioneller Werte

01.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:58 Uhr

München (DK) Am 1. Dezember 1946 haben sich die bayerischen Wähler ihre Landesverfassung gegeben. Bei der Jubiläumsfeier 70 Jahre später mahnen die Redner die Bürger zur Verteidigung freiheitlicher Werte. Von den Adressaten ist aber kaum jemand eingeladen.

Es muss schon viel passieren, damit die CSU voll des Lobes für die SPD ist. Im Nationaltheater in München ist gestern einer dieser seltenen Momente zu erleben gewesen. Führende CSU-Köpfe überschlagen sich gar mit der Huldigung eines Sozialdemokraten und seines Werkes: Wilhelm Hoegner gelte zu Recht als Vater der bayerischen Verfassung, er habe sie geprägt, betont Landtagspräsidentin Barbara Stamm. Und Ministerpräsident Horst Seehofer erklärt, mit Hoegner an der Spitze sei ein "Garant für Stabilität" geschaffen worden.

Zwar ist der Sozialdemokrat und ehemalige Ministerpräsident Wilhelm Hoegner seit nunmehr 36 Jahren tot. Sein wichtigster Nachlass ist aber auch mit 70 Jahren noch höchst vital. Als eine der modernsten Verfassungen der Gegenwart lobt Horst Seehofer das Schriftstück beim offiziellen Jubiläumsfestakt.

Aber die festliche Geburtstagsfeier, die vom Bayerischen Staatsorchester musikalisch begleitet wird, wird von den Geschehnissen in Deutschland und der Welt überschattet. Und so kommt keiner der Redner umhin, seine Würdigung des Verfassungstextes mit einer Warnung vor stärker werdenden anti-demokratischen Kräften zu verknüpfen.

So warnen Seehofer und Ex-Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof, der die Festansprache hält, vor vielfältigen extremistischen Gefahren. Landtagspräsidentin Stamm spricht von einer möglichen Spaltung der Gesellschaft. Es müsse alles getan werden, um diese zu vermeiden. Als besonders bedeutend sieht sie dabei das in Bayern sehr stake Ehrenamt an, in dem demokratische Werte gelebt würden. "Eine Demokratie kann nur dann stark sein, wenn sie von den Menschen getragen wird", sagt Stamm und richtet sich direkt an die ehrenamtlich Tätigen: "Sie sorgen dafür, dass unsere Gesellschaft auch eine Gemeinschaft ist."

Die Ehrenamtlichen allerdings sind im Nationaltheater, in das nach Landtagsangaben rund 750 Menschen gekommen sind, in nicht allzu großer Zahl vertreten. Viele Plätze im Parkett bleiben aufgrund kurzfristiger Absagen leer, die Balkone werden gar nicht erst besetzt. Und so sind die Politik und die Spitzen der Gesellschaft bei der Feier beinahe unter sich, dem Volk bleibt nur die Liveübertragung im Bayerischen Rundfunk.

Wenn schon ihre Geburtstagsfeier nicht besonders bürgerfreundlich ist, so ist es immerhin die Verfassung selbst. Das betont der höchste Vertreter der dritten Gewalt. Die konstitutionell festgelegte, umfassende Bürgerbeteiligung und das Recht zur Popularklage verdeutlichten das große Vertrauen der bayerischen Verfassung in den Bürger, sagt der Präsident des Verfassungsgerichtshofs, Peter Küspert.

Und Ex-Verfassungsrichter Kirchhof lobt das oberste bayerische Landesgesetz sogar noch überschwänglicher. "Diese Verfassung ist eine Verfassung der Hoffnung, ist eine Verfassung der Grundsatzantworten und eine Verfassung des Vertrauens", sagt er und spricht von "einem Juwel im Recht". Jeder Bayer solle die "glanzvolle Lektüre" einmal lesen - und jeder Nicht-Bayer zweimal.