München
Unumkehrbare Entscheidung

Bahn und Politik geben in München den Startschuss für den Bau der zweiten Stammstrecke

05.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:21 Uhr

Foto: DK

München (DK) Der Startschuss zur zweiten Stammstrecke ist erfolgt. Jetzt gebe es kein Zurück mehr, betont Ministerpräsident Horst Seehofer. Kritikern reicht er aber auch die Hand.

Immer wieder laufen Gruppen in Stuttgart-Trikots über den Münchner Marienplatz. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn am Abend empfängt 1860 München den VfB. Aber es hat auch Symbolkraft. Denn Stuttgart ist gestern Nachmittag vor dem Münchner Rathaus omnipräsent. Etwa hundert Stammstrecken-Gegner demonstrieren dort gegen den Spatenstich der zweiten S-Bahn-Stammstrecke und betonen immer wieder: Bayern bekomme mit der Großbaustelle sein eigenes Stuttgart 21. Ein Bahnprojekt, das für Unfrieden in der Stadt sorgt und bei dem explodierende Kosten vorprogrammiert sind.

Eine Stunde später und auf der anderen Seite des Rathauses im extra aufgebauten Festzelt im Marienhof spricht auch Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) über den Bahnhofsbau in der baden-württembergischen Landeshauptstadt. Stuttgart 21 sei in Bayern nicht zu befürchten, betont er. Alles sei von den besten Experten in Land und Bund mehrfach gegengerechnet und bestätigt worden. Den Kritikern hält er entgegen: "Es ist gelegentlich im Leben so, dass man zunächst eine Belastung in Kauf nehmen muss, damit man ein höheres Ziel erreicht." Und damit auch ja keine Missverständnisse aufkommen, ob das Projekt nicht doch noch gestoppt werden könnte, stellt Seehofer klar: Die Entscheidung "ist mit dem heutigen Tag unumkehrbar". Zur zweiten Röhre sieht er keine Alternative. "Ich hätte es nicht verantworten können, wenn wir dies nach der langen Diskussion und Planung nicht getan hätten. Wir hätten Schuld auf uns geladen", sagt Seehofer.

Mit Worten, die die Wichtigkeit des Augenblicks unterstreichen, geizen die Beteiligten nicht. Seehofer spricht von einer Jahrhundertentscheidung und einem Quantensprung, Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) von einem der wichtigsten Infrastrukturprojekte in der Stadtgeschichte und Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) von einem historischen Tag. Deutlich wird die Bedeutung des Projekts auch daran, dass der Spatenstich mit einem zweitägigen Fest zelebriert wird, bei dem die Bürger sich nicht nur von Bands unterhalten lassen, sondern sich auch über den Stammstreckenbau informieren können.

Entgegen des großen Pomps außen herum fällt der "Spatenstich" an sich eher unspektakulär aus. Politiker und Bahnverantwortliche drücken einfach nur gemeinsam auf einen symbolischen roten Knopf. In ihrem Rücken setzt sich daraufhin ein Bagger in Bewegung und kippt die erste Ladung Sand vom Marienhof, wo demnächst eine große Baugrube und ein neuer unterirdischer Bahnhof entstehen, in einen Laster. Auf den Einsatz echter Spaten oder baggersteuernde Politiker wird verzichtet. Mit Letzterem hat die CSU in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht, Verkehrsminister Joachim Herrmann (CSU) kippte einst mit einem Bagger um.

Bei der Stammstrecke darf er immerhin mit auf den Knopf drücken. Ansonsten hält sich Herrmann im Hintergrund, obwohl er einer der entscheidenden Architekten des Milliardenprojekts ist. Dafür wird er von mehreren Rednern gelobt, auf die Bühne dürfen aber andere. Zum Beispiel der neue Bahnchef Richard Lutz, der die zweite Stammstrecke wie alle anderen Redner für unverzichtbar hält. Bei der ersten seien die Kapazitäten erschöpft. "Mehr geht nicht", sagt er. Und auch OB Reiter erklärt, dass das einstige Prunkstück des Münchner Nahverkehrs am Anschlag sei und der Mangel an Ausgleichsstrecken das S-Bahn-Netz verwundbar mache. "Das Rückgrat wurde zur Achillesferse", sagt er. Den Stammstrecken-Kritikern, die andere Lösungen wie einen Ausbau des sogenannten Südrings für sinnvoller halten, zeigt er wenig Entgegenkommen. Deren individuelle Gründe für die Ablehnung verstehe er zwar. "Wer will schon, wenn er keinen unmittelbaren Vorteil des Bauvorhabens hat, mehrere Jahre Baustelle vor der Tür haben", fragt Reiter. Es gehe aber um den Nutzen der ganzen Stadt und der ganzen Region, für die die Politik die Verantwortung trage.

Seehofer reicht den Protestierenden zumindest ein bisschen die Hand: "Wo immer wir etwas in der Bauphase für die Bevölkerung erleichtern können, werden wir dies tun", versichert er. Am Geld solle dies nicht scheitern. Für Seehofer könnte die Stammstrecke aber auch noch zu einem ganz persönlichen Projekt in seinem Hobbykeller werden: Wenn die Bahn alle Kosten- und Zeitvorgaben einhalte, "dann baue ich vielleicht noch eine Modellbahn mit dieser Stammstrecke", sagt er.