München
Stunde der Schuldzuweisungen

Nach der Entscheidung gegen die Startbahn läuft die Suche nach Gewinnern und Verlierern

18.06.2012 | Stand 03.12.2020, 1:22 Uhr

Klare Grenze: Nach dem Votum der Münchner Bürger darf der Flughafen im Erdinger Moos zunächst nicht erweitert werden - Foto: dapd

München (DK) Nach dem Nein der Münchner zum Flughafenausbau schieben sich die Startbahnbefürworter gegenseitig die Schuld daran zu. Und: Die Diskussion über Verlierer und Gewinner des Bürgerentscheids hat begonnen. Mancher lässt sich nicht so einfach einsortieren. Eine Analyse.

Es gibt Sieger, die eindeutig zu erkennen sind. Gestern morgen sitzen die beiden Landesvorsitzenden der Grünen, Theresa Schopper und Dieter Janecek, in der Parteizentrale in München und strahlen. Ein wenig rot sind die Gesichter. Vom Wahlkampf, meint Janecek. Wenn es so ist, dann hat sich der Sonnenbrand gelohnt. Neben den Flughafenanwohnern sind die Grünen die großen Gewinner des Bürgerentscheids vom Sonntag.

Im September hatten die Grünen sich entschieden, das Bürgerbegehren einzuleiten. Die Freien Wähler schlossen sich dem an. Der Plan ist aufgegangen. Die Grünen haben wieder einmal weit mehr als nur Stammklientel mobilisiert. „Kampagnenfähigkeit“ nennt Janecek das. Die Partei habe gezeigt, dass sie ein „Gegenmodell“ zur Politik der CSU bieten könne. „Lebensqualität statt Wachstumswahn“ – so sieht es der Grünenchef. Für die Landtagswahl 2013 dürfte das der Partei kräftig Auftrieb geben.

Im Lager der Startbahnbefürworter herrscht nach dem Bürgervotum Gereiztheit. Die Airport-Allianz aus CSU, SPD und FDP war von Anfang an stark belastet. Schließlich will der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) den CSU-Chef Horst Seehofer 2013 aus dem Amt des Ministerpräsidenten verdrängen. Kaum stand das Ergebnis fest, gingen die Konkurrenten aufeinander los. „Das ist eine klare Niederlage für Ude“, sagte Finanzminister Markus Söder (CSU). Auch FDP-Fraktionschef Thomas Hacker ging auf den OB los: „Am besten nimmt Ude nach dieser Niederlage gleich seinen Hut als designierter Spitzenkandidat“, ätzte der Liberale. Ude und seine SPD hätten nicht genug für den Flughafen gekämpft, heißt es bei Schwarz-Gelb. SPD-Landeschef Florian Pronold keilt zurück. Ministerpräsident Horst Seehofer hätte ja einen bayernweiten Volksentscheid vorantreiben können, sagt er. „Aber Horst Seehofer hat wieder nur geredet und nicht gehandelt.“

Mindestens genauso bitter wie für Ude ist das Ergebnis aber für CSU und FDP selbst. Beide Parteien haben sich klar zur geplanten dritten Startbahn bekannt – allen voran Ministerpräsident Horst Seehofer und Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP). Die Koalition betrachtet die gute Wirtschaftslage als ihr Prunkstück für den anstehenden Wahlkampf. Den Flughafenausbau sehen sie als wesentliche Zukunftsentscheidung, um den Erfolg fortsetzen zu können. Doch zumindest in München sehen das die Bürger offensichtlich anders.

Aber auch aus einem anderen Grund hätte die Flughafenfrage der Koalition in die Karten spielen können. Um Seehofer abzulösen, strebt Ude eine Koalition mit Grünen und Freien Wählern an – beide erklärte Startbahngegner. Das hätte dem SPD-Spitzenkandidaten im Wahlkampf Probleme gemacht. Ein Dreierbündnis, das in einer wesentlichen Zukunftsfrage nicht zusammenkommt – damit hätten Vertreter von CSU und FDP Ude nur allzu gerne immer wieder vorgeführt. Nachdem die Flughafenfrage nun vorerst vom Tisch ist, wird es dafür deutlich weniger Gelegenheit geben. Und so hat das Votum für Ude auch sein Gutes. Es hätte kaum besser laufen können, meint man in seinem Umfeld. Trotzdem: Dass die Münchner ihm nicht gefolgt sind, spricht nicht gerade für bedingungslose Zuneigung. Sein strikter Pro-Startbahn-Kurs hat Ude wohl auch in der eigenen Stadt Sympathien gekostet.

Die SPD, die sich 2009 auf einem Parteitag gegen die Startbahn ausgesprochen hatte, hat nun jedenfalls ein Problem weniger. Um nicht mit Ude in Widerspruch zu kommen, wollte die Partei den Beschluss eigentlich dieses Jahr rückgängig machen. Und das obwohl Teile der Partei große Bauchschmerzen mit dem Ausbau hätten. Das ist jetzt nicht mehr nötig. „Nach meiner Einschätzung ist das kein Thema mehr“, sagt SPD-Landeschef Pronold. So schön kann direkte Demokratie sein.