München
Rückstand durch Abstand

Kommende Woche urteilt der Verfassungsgerichtshof über die umstrittene 10 H-Regel für Windräder

06.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:51 Uhr

München (DK) Der Bayerische Verfassungsgerichtshof verkündet am Montag in München sein Urteil zur umstrittenen Abstandsregelung für Windräder. Kritiker bemängeln, dass der Ausbau der Windkraft im Freistaat durch die 10 H-Regel praktisch zum Erliegen gekommen sei. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten rund um die Verhandlung.

n Worum geht es bei der Gerichtsentscheidung? Im November 2014 ist in Bayern auf Betreiben der CSU die sogenannte 10 H-Regelung in Kraft

getreten. Diese besagt, dass der Abstand zwischen Wohngebieten und Windrädern zehnmal so groß sein muss wie die Höhe der Anlagen. Hintergrund waren die zahlreichen Bürgerproteste gegen eine "Verspargelung" der bayerischen Landschaft. Da Windräder nach heutigem technischen Standard in der Regel mindestens 200 Meter hoch sind, bedeutet dies einen Mindestabstand von zwei Kilometern. Die Kläger kritisieren, dass dadurch nach Abzug ungeeigneter Standorte nur 0,01 Prozent der Landesfläche übrig bleibe und der Ausbau der umweltfreundlichen Windkraft faktisch unmöglich gemacht worden sei. Um den Rückstand wieder aufzuholen, wollen sie das Gesetz kippen. Die Staatsregierung argumentiert dagegen, dass 10 H nicht alleine für den starken Rückgang beim Windradbau verantwortlich ist, sondern auch sinkende Subventionen eine Rolle spielten.

n Gibt es Ausnahmen von der 10 H-Regelung? Ja, es können auch weiterhin unter bestimmten Bedingungen Windräder mit einem Wohngebietsabstand von weniger als 10 H gebaut werden. Die Gemeinden können in ihrer Bauleitplanung auch Flächen für Windräder ausweisen, die näher an Wohngebieten liegen. Kritiker bemängeln aber, dass diese Ausnahmen bei der Bevölkerung nicht ankämen und sich die Gemeinderäte daher oftmals nicht trauten, diese durchzusetzen, weil sie Konflikte mit den Bürgern fürchteten. Das Ziel der 10 H-Regel, für Rechtsfrieden in den Dörfern zu sorgen, sei daher nicht erreicht worden.

n Wie viele Windräder wurden unter der 10 H-Regelung gebaut? Laut Wirtschaftsministerium sind im Jahr 2015 im Freistaat 143 neue Windräder ans Netz gegangen, insgesamt sind derzeit 937 Anlagen in Betrieb. Die meisten der neuen Anlagen seien aber noch unter der alten Regelung genehmigt worden, sagen die Kläger. Von April bis Dezember 2015 habe es nur zehn neue Anträge gegeben.

n Wer hat geklagt? Die gesamte Landtagsopposition ist gegen das Gesetz vorgegangen. SPD, Freie Wähler und Grüne treten vor dem Verfassungsgerichtshof alle als Kläger auf. Hinzu kommen noch der frühere Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell und der Würzburger Stadtrat Patrick Friedl (beide Grüne).

n Worin sehen die Kläger den Verfassungsbruch? Windräder gehören laut Baugesetzbuch zu den sogenannten privilegierten Vorhaben. Diese sind in Außenbereichen grundsätzlich zulässig, "wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen". Der Bund hat den Ländern zwar auf Druck der CSU die Möglichkeit eingeräumt, Mindestabstände festzulegen. Durch den sehr hohen Faktor von 10 H sehen die Kläger aber eine komplette Entprivilegisierung der Windkraft. Das widerspreche den Zielen des Bundesgesetzes und die Staatsregierung habe damit ihre Kompetenzen überschritten, so die Kläger. Zudem sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Außerdem wurden noch andere Argumente vorgebracht, die die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes belegen sollen. So wurde etwa moniert, dass Nachbargemeinden wegen der Abstandsregelung gegen den Bau neuer Anlagen ein Veto einlegen könnten. Das widerspreche der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung und sorge für kommunalen Unfrieden. Grüne und Freie Wähler kritisierten zudem, dass es vor der Gesetzesverabschiedung im Landtag keine zweite Expertenanhörung gegeben habe und damit ein Verfahrensfehler vorliege.

n Wie sind die Erfolgsaussichten der Kläger? Nicht so schlecht. Einige Kläger haben sich nach der mündlichen Verhandlung Mitte April sehr optimistisch geäußert und dies mit den detaillierten Nachfragen des Gerichts begründet. Die Richter zeigten sich vor allem an der Frage interessiert, weshalb der Abstand auf 10 H festgesetzt wurde. Der Staatsregierung gelang es dabei nicht, eine einleuchtende Erklärung zu liefern. Der Faktor zehn wirkt willkürlich. Möglich ist daher, dass der Verfassungsgerichtshof die Abstandsregelung grundsätzlich bestehen lässt, aber einen niedrigeren Faktor mit plausibler Begründung einfordert. In der Verhandlung wurden von den Klägern verschiedene Zahlen von 3 H bis 6 H als passend erachtet, wobei der Faktor drei schon von verschiedenen Verwaltungsgerichten als angemessen eingestuft worden war.

n Was würde eine Niederlage für die Staatsregierung bedeuten? 10 H war 2013 ein Wahlkampfschlager der CSU. Horst Seehofer sah den Kampf gegen die "Verspargelung" als Teil seiner vielbeschworenen "Koalition mit den Bürgern". Insofern wäre eine Niederlage auch eine persönliche Schlappe für Seehofer. Doch der Ministerpräsident gab sich nach der mündlichen Verhandlung entspannt und verkündete, er warte das Ergebnis ab und könne mit allem leben.